Lawinenabgang auf die PisteWie allgemein bekannt ist, muss das Seilbahnunternehmen seinen Gästen gegenüber diverse „Schutz- und Sorgfaltspflichten“ beachten und erfüllen. Sollte nun eine Lawine bis auf die gesicherten und markierten Pisten abgehen und sollte dadurch ein Wintersportler zu Schaden komme, stellt sich die Frage, ob dies einen Verstoß gegen die oben genannten Pflichten darstellt. Ein Teil der zu beachtenden Schutzpflichten ist es z. B., dafür Sorge zu tragen, dass ein Wintersportler, der die Skipisten benutzt, nicht durch mögliche Gefahren, z. B. durch auf die Pisten abgehende Lawinen, geschädigt wird: Die Skipisten müssen in einem Bereich liegen, welcher normalerweise nicht von Lawinen bedroht ist (siehe dazu auch den Lawinenerlasse des BMVIT). Ist auf Grund der Witterungsverhältnisse dennoch mit Lawinenabgängen auf die Pisten zu rechnen, müssen entsprechende Sicherungsmaßnahmen – wie Absprengen von Lawinen, Sperre der Pisten bzw. der dort hinführenden Seilbahnen – getroffen werden. Auch dabei gilt der Maßstab der „Zumutbarkeit", d. h. es ist zu prüfen, welche Maßnahmen möglich und notwendig waren.
Ausdrücklich ist dabei darauf hinzuweisen, dass das Seilbahnunternehmen im Zweifelsfall zu beweisen hat, dass sämtliche notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gesetzt wurden. Für diesen Nachweis ist es wichtig, die entsprechenden Entscheidungen genau – schriftlich! – zu dokumentieren, damit diese im Streitfall vorgelegt werden können. Ebenso kommt dem für den fraglichen Tag herausgegebenen Lagebericht des Lawinenwarndienstes große Bedeutung zu. Ergibt sich daraus ein hohes Potential für spontane Lawinenabgänge, wird dies in der Praxis dazu führen, dass die fraglichen Pisten gesperrt werden müssen.
Eine Haftung ist allerdings nur dann denkbar, wenn Pisten, die erfahrungsgemäß im Einzugsbereich von Lawinen liegen, bei entsprechender Gefahrenlage nicht gesperrt werden: Kommt es ab einer bestimmten Lawinengefahr in einem Einzugsbereich einer Piste regelmäßig und häufig zu spontanen Lawinenabgängen, so muss dieser Pistenbereich gesperrt werden. Ist es in diesem Bereich jedoch in der Vergangenheit zu keinen Abgängen gekommen, so würde eine generelle Verpflichtung zur Pistensperre jedenfalls unzumutbar sein. Auch Schäden durch eine sogenannte „Jahrhundertlawine" können in keinem Fall zu einer Haftung des Seilbahnunternehmens führen.
Auslösung durch Mitarbeiter
Sollte eine Lawine – bis auf die Piste – durch Mitarbeiter des Seilbahnunternehmens verursacht worden sein, so kann dieses für die Folgen verantwortlich sein. Dies dann, wenn dem Mitarbeitern ein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann: Befährt er z. B. einen Bereich oberhalb der markierten Piste mit einem Pistengerät, obwohl aufgrund der Verhältnisse eine große Wahrscheinlichkeit eines Lawinenabgangs (ausgelöst durch das Pistengerät) bestand, wird das Seilbahnunternehmen zu haften haben. Das Gericht hat in einem dazu entschiedenen Fall damit argumentiert, dass es zuzumuten gewesen wäre, entweder den durch den möglichen Lawinenabgang gefährdeten Pistenbereich für die Dauer des Einsatzes des Pistengerätes zu sperren oder die entsprechenden Fahrten erst nach Ende des Skibetriebs durchzuführen.
Auslösung durch Wintersportler
Wenn Wintersportler den gesicherten Pistenbereich verlassen und im freien Gelände eine Lawine auslösen, die dann auf eine Piste abgeht, ist keine Haftung des Seilbahnunternehmens gegeben: Es kann nicht für die Folge von Handlungen Dritter im freien Gelände verantwortlich gemacht werden. Eine Haftung nach einem solchen Unfall wäre allenfalls nur dann denkbar, wenn Wintersportler die Pisten regelmäßig an bestimmten Stellen verlassen, in den freien Skiraum einfahren und von dort regelmäßig Lawinen auslösen. Dann müssen an den entsprechenden Stellen deutliche Hinweise (wie einen Sichtzaun oder entsprechende Tafeln) darauf angebracht werden, dass die Pisten in diesem Bereich nicht verlassen werden dürfen. Sollten Wintersportler diese Hinweise missachten, kann dem Seilbahnunternehmen nach einem Unfall kein Vorwurf gemacht werden.
Keine Verantwortung für den freien Skiraum
Für Lawinenunfälle außerhalb der gesicherten Pisten besteht keine Haftung des Seilbahnunternehmens: Befährt ein Wintersportler den freien Skiraum, so liegt dies in seiner Eigenverantwortung und ist er für mögliche Folgen selbst verantwortlich. Das Unternehmen ist auch nicht verpflichtet, die Wintersportler vor Lawinengefahren im freien Skiraum zu warnen. Wenn diese dennoch (z. B. mit Warnblinkleuchten etc.) erfolgt, dann stellt das eine Serviceleistung, aber keine Pflicht des Seilbahnunternehmens dar.
Christoph Haidlen