Die neue Stoosbahn ist ein Generationenbauwerk mit Bedeutung für die ganze Region.
Doppelmayr/ Garaventa

ISR-Reportage

Stoosbahn - eine Standseilbahn der Extraklasse

Die ISR besichtigte die steilste Standseilbahn der Welt persönlich und bringt nun unseren Lesern eine exklusive Reportage.

von: Roman Gric

Erste Standseilbahn Schlattli - Stoos

Die ersten Versuche, das Kur- und Sportgebiet am Stoos bahntechnisch zu erschließen, gehen bis ins Jahr 1891 zurück. Das Projekt sah eine Zahnradbahn von Brunnen über Morschach, Stoos und weiter bis auf den Fronalpstock voraus. Aus finanziellen Gründen wurde im Jahr 1905 nur die Anfangstrecke von Brunnen über Morschach bis Axenstein gebaut. Im Jahr 1969 wurde sie wieder stillgelegt.

Da der Stoos nur durch eine schmale und steile Bergstraße erschlossen war und der Wintersport auf der Hochterrasse von Stoos schon nach dem 1. Weltkrieg stark zunahm, war somit das Bedürfnis für eine Bahnverbindung vorhanden.

Die Seilschwebebahnen standen zu diesen Zeiten noch in den Kinderschuhen und konnten die nötige Förderleistung und Verfügbarkeit nur schwierig erreichen. Deswegen wurde der Bau einer ­klas­sischen Standseilbahn mit Pendelbetrieb zweier 50er-Wagen und einer Abt´schen Ausweiche in der Mitte der Trasse Schlattli - Stoos beschlossen, die schließlich am 19. August 1933 auch eröffnet wurde. Die größte Neigung dieser Bahn erreichte 78,1 % (38º).

Die Standseilbahn erfreute sich - mit Ausnahme der Kriegsjahre - derart großen Beliebtheit, dass sie in den 70er Jahren zwecks Erhöhung der Förderleistung und Modernisierung gründlich umgebaut wurde. Sie war schon damals für den Stoos so wichtig, dass der neue Antrieb in der Bergstation hinter dem alten Antrieb gebaut wurde, um die Dauer der Einstellung des Betriebes zu minimieren. Neben zwei neuen Panoramawagen für 100 Personen von Gangloff mit stufenförmig abgesetztem Dach wurde auch die Muotaschluchtbrücke ersetzt. Die Einweihung der erneuerten Bahn fand am 9. Dezember 1970 statt. Nach einer Strecken­sanierung, die bis 1982 abgeschlossen wurde, konnte die Fahrtgeschwindigkeit bis auf 5,0 m/s und somit auch die Förderleistung auf 1.000 P/h aufgestockt werden.

 

Planung der neuen Standseilbahn

Die Konzession der alten Standseilbahn näherte sich nach der Jahrtausendwende langsam ihrem Ende zu und konnte ohne wesentliche Sanierungsarbeiten nicht langfristig verlängert werden.

Das Bergdorf Stoos mit 150 Einwohnern verfügt über rund 2.200 Gäs-tebetten und ohne eine öffentliche Erschließungsbahn würde es als bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region Schwyz verloren gehen. Die öffentliche Erschließung mit der Standseilbahn ist seit 2010 amtlich anerkannt und für einen Erschließungsbeitrag abgeltungsberechtigt. So gilt auch das Schweizer Generalabo auf der Bahn als Fahrschein.

Schon seit 2003/2004 wurden erste Studien zur Neuerschließung von Stoos erarbeitet. Überlegt wurden zwölf Varianten - u. a. Sanierung der alten Bahn, Straßenausbau oder Bau einer 3S-Bahn. Wegen der Nähe der Schießanlage Selgis war der Bau einer Seilschwebebahn aus Sicherheitsgründen nicht möglich und als beste Variante wurde eine Standseilbahn mit neuer Trassenführung gewählt.

Die neue Talstation wurde um ca. 400 m von der alten Talstation Richtung Muotathal ins Hintere Schlattli verschoben, um den nötigen Raum für Parkplätze und ein Parkhaus, für ein vom Fahrgastverkehr getrenntes logistisches Zen­trum, für eine Busstation und für ein Souvenirgeschäft zu schaffen. Die Bergstation wurde unmittelbar neben den Beschäftigungsanlagen und sehr nahe zum Stoos-Dorf optimal positioniert. Auch hier ist der Personenverkehr vom Gütertransport konsequent getrennt. Ein weiteres Argument für die veränderte Trassierung war, dass die alte Bahn während der ganzen Bauphase in Betrieb bleiben konnte.

 

Aufwendiger Trassenbau

Die 1.738 m lange Trasse der Bahn ist extrem: Zwei Brücken mit insgesamt 261 m Länge und drei Tunnels mit 578 m Gesamtlänge werden passiert. Nur wenige Meter nach der Ausfahrt aus der Talstation und Überfahrt der Brücke über die Muota geht es steil bergauf. Die maximale Steigung von 110 % (47,7º) wird im ersten Tunnel erreicht. Diese Steigung stellt einen Weltrekord bei klassischen Standseilbahnen mit zwei Wagen im Pendelbetrieb und Abt´scher Ausweiche in der Mitte dar (siehe Tabelle).

Der Spatenstich erfolgte im September 2012. Die Realisierung der schwierigen Bauarbeiten auf der Trasse ist über zwei Jahre hinter dem Zeitplan in Verzug geraten. Grund dafür waren einerseits die extrem anspruchsvollen Bedingungen im Steilhang mit drei Tunnels, andererseits war die Zusammenarbeit der involvierten Unternehmen eine Herausforderung. So musste unter anderem sichergestellt werden, dass die Bauarbeiter rund um die Uhr und bei jedem Wetter gesichert die Baustelle im Steilhang erreichen und verlassen konnten. Für zusätzliche Probleme sorgte zeitweise der Ausfall einer Materialseilbahn, an deren Stelle Hubschrauber zum Einsatz kamen.Dank der sehr guten und lösungsorientierten Zusammenarbeit der Stoosbahnen AG mit dem Hersteller der Seilbahntechnik, der Firma Garaventa, konnten für diese Bahn neue Lösungen für bisher Unlösbares gefunden werden, so dass die Bahn schließlich am 17. Dezember 2017 feierlich eröffnet werden konnte.

 

Einzigartige Seilbahntechnik

Über die Seilbahntechnik haben wir schon in der ISR-Ausgabe 3/2018, S.30, sowie in der ISR Schweiz/2018, S. 20-21, berichtet. Erinnern wir uns hier nur daran, dass die Wagen über vier zylinderförmige Kabinen für je 34 Personen und eine 6-t-Gütterplattform verfügen, die sich hydraulisch stufenlos am Neigungswinkel ausrichten. Die Lösung, bei der die einzelnen Kabinen von unten über formschlüssige Führungsprofile und Drehgestelle mit dem Wagenfahrgestell flexibel verbunden sind, um die horizontale Nivellierung zu erreichen, ist einmalig. Bei den früheren Standseilbahnen mit mehreren Fahrgastabteilen mit Niveauausgleich sind die einzelnen Abteile in einem Rahmen aufgehängt, was die Gesamthöhe der Wagen erhöht. Die Neuentwicklung bei der Stoosbahn, bei der die ­Kabinen von keinen Tragkonstruktionen überragt sind, hat es ermöglicht, die Tunnelprofile niedriger zu bauen.

Die Wagen kommen in beiden Stationen waagrecht an. Unter anderem wegen dieser horizontalen Trassenabschnitte musste die Bahn mit einem Gegenseil ausgerüstet werden, das in der Talstation mit Spanngewicht gespannt ist. Die Bahnsteige verfügen über je vier Bahnsteigtüren, die sich mit den Kabinentüren decken und einen flüssigen und barrierefreien Fahrgaststrom auch für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer ermöglichen. Die Bahn kann vom Kommandoraum in der Bergstation aus von einem einzigen Mitarbeiter bedient werden, die Talstation ist fernüberwacht.In der Bergstation befindet sich eine zweirillige Antriebsscheibe mit zwei symmetrisch angeordneten 1.150-kW-Antrieben. Um das Abheben des Zug- und Gegenseiles in den konkaven Trassenabschnitten zu verhindern, ist die Bahn mit 86 Niederhalterollen ausgestattet. Für die einwandfreie Überfahrt der Wagen über diese Rollen wurden die Wagenfahrgestelle mit entsprechendem Freiraum konstruiert. Das Zugseil ist im Wagenfahrgestell trommelverankert.

 

Ein Generationenbauwerk

Die einzigartige Bahn wurde nach ihrer Inbetriebnahme weltweit in allen namhaften Medien beschrieben, und die Schweiz dominierte die internationalen Schlagzeilen: "Die Schweiz schmückt sich mit einem weiteren Superlativ", "Die Schweiz geht steil, zumindest in Stoos" hieß es. Ein Kurzvideo der neuen Bahn von BBC News wurde nach der Eröffnung 1,5 Mio. mal aufgerufen."Wir haben den Weltrekord nicht gesucht, doch wenn er nun schon mal realisiert ist, haben wir nichts dagegen", sagt Bruno Lifart, Delegierter des Verwaltungsrates Stoosbahnen AG. "Die neue Stoosbahn stellt für die ganze Region ein Leuchtturmprojekt dar, wovon die gesamte Region profitiert".

 

Stoos ist attraktiv das ganze Jahr

Das Bergdorf hoch über dem Vierwaldstättersee ist ein Ziel für abwechslungsreiche Familienausflüge und bietet vielseitige Bergsportmöglichkeiten. Im Winter wie im Sommer sind alle Seilbahnen im Gebiet in ­Betrieb: Zwei Teilstrecken von 4er-Sesselbahnen erschließen die Panoramaterrasse Fronalpstock mit atemberaubenden Aussichten auf den Vierwaldstättersee und das gleichnamige Berghotel mit Restaurant. Die Bergstation der Klingenstockbahn, einer 6er-Sesselbahn von Garaventa (Baujahr 2007), ist Ausgangspunkt für die einzigartige Gratwanderung vom Klingenstock zum Fronalpstock.

35 km Pistenspaß erlebt man im Wintersportgebiet am Fronalpstock und Klingenstock. Anfänger wie Fortgeschrittene finden eine Piste nach ihren Wünschen sowie einen Kurs in der Schneesportschule nach ihrem Können. Loipen, Freestylepark und Winterwanderwege ergänzen das touristische Angebot auf dem Stoos im Winter.

Stoos kann auch aus Morschach mit einer 15er-Pendelbahn (Hersteller Garaventa, Baujahr 1981) mit einer bescheidenen Förderleistung von 150 P/h erreicht werden.

Roman Gric
Ein Wagen der neuen Stoosbahn überfährt die Muotabrücke und steigt steil zum ersten Tunnel an.
Roman Gric

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