Bahnen

Sensation in der Schweiz: Die neue Cabrio-Bahn

Die neue Pendelbahn auf das Stanserhorn ist seit Ende Juni 2012 offiziell in Betrieb. Zurecht wird diese Garaventa-Seilbahn mit Kabinen von Gangloff als Weltneuheit bezeichnet. (Abb. siehe pdf-Download!)

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Im Mai 2009 haben wir in der ISR getitelt: Weltneuheit am Stanserhorn: Cabrio-Bahn. Oft genug wird der Begriff „Weltneuheit“ für Details verwendet, die vielleicht zwar neu, aber nicht gerade aufregend sind. Das ist bei der Cabrio-Bahn sicher nicht der Fall. Bei dieser Bahn handelt es sich um ein Seilbahnsystem, bei dem es so viele Neuheiten gibt, dass es mit den herkömmlichen Bezeichnungen kaum zu beschreiben ist. Wir wollen es dennoch versuchen.Aus seilbahntechnischer Sicht ist die Cabrio-Bahn eine Zwei-Wagen-Pendelbahn mit breiter Spur der Doppel-Tragseile und mit Zugseilen, die in Form zweier geschlossener Zugseilschleifen unter den Tragseilen geführt und an den Wagen mittels Umlenkscheiben – wie beim Funifor-System – gelagert sind. Im Gegensatz zum Funifor-System, das ebenfalls ein Pendelbahnsystem mit breiter Tragseil-Spur ist, werden die Fahrzeugkabinen zwischen und nicht unter den Tragseilen geführt, sodass sich oberhalb der Fahrzeuge keine Betriebsseile befinden. Das ermöglicht die Ausführung doppelstöckiger Seilbahnkabinen mit offenem Oberdeck. Das ist die für jedermann erkennbare Weltneuheit an der Cabrio-Bahn. Es gibt also beim Cabrio-Fahrzeug kein Gehänge wie bei konventionellen Pendelbahnwagen, sondern einen Rahmen mit seitlich angebrachten Laufwerken, in dem die Doppelstockkabine niveaugeregelt gelagert ist. Die Drehachse der Kabine im Rahmen liegt etwas oberhalb des Deckenbereichs zwischen oberem und unterem Fahrzeugdeck. Jedem Seilbahntechniker ist klar, dass mit einer derartigen Anordnung eine Fülle von neuen Fragen auftaucht, die von den Garaventa- und Gangloff-Konstrukteuren gelöst werden musste – und bravourös gelöst wurden. Eine davon ist die Führung der Seile.

Seilführung der Tragseile
Die vier vollverschlossenen Tragseile der Cabrio-Bahn haben einen Nenndurchmesser von 66 mm und sind fixverankert. Auffallend ist dieser große Seildurchmesser – und damit die hohe Tragseilspannkraft – für das Fahrzeug mit einem maximalen Gesamtgewicht von 160 kN: Die Tragseilspannkraft ist mit rund 120.000 kN je Tragseil weit höher, als es nach den Bestimmungen der Seilbahnnorm betreffend die Querbelastung der Tragseile durch die Fahrzeuge erforderlich wäre. Der Grund dafür ist, dass man durch die stark gespannten Tragseile die betrieblichen Durchhangsschwankungen möglichst gering hält und damit auch die Verschiebungen der Tragseile auf den Schuhen der vier Stützen. Größere Durchhangsschwankungen und zufolge geringfügiger Reibungsunterschiede ungleiche Tragseilverschiebungen auf den Stützenschuhen hätten es vielleicht ermöglicht, dass das Fahrzeug nicht exakt lotrecht positioniert an die Stütze heranfährt. Die Folge wäre eine für die Fahrgäste äußerst unangenehme Querbeschleunigung durch das ruckartige Lotrechtstellen der Kabine beim Auffahren auf die Stütze (die bei konventionellen Pendelbahn-Kabinen wegen des Gehänges und der Querpendelmöglichkeit nicht auftritt). Und da höchster Fahrkomfort eines der vorrangigen Projektziele war, hat man durch diese „Überdimensionierung“ der Tragseile eine mögliche Beeinträchtigung des Fahrkomforts weitestgehend ausgeschlossen.
Das gleiche gilt für die Wahl der Schuhradien: Aus Gründen das Fahrkomforts hat man sie weit größer gewählt, als sie im Verhältnis zum Seildurchmesser notwendig gewesen wären. Das – und noch andere Umstände – hatte zur Folge, dass man für die Auflagesicherheit der Tragseile auf den Stützen etwas tun musste: Damit die Tragseile ohne seitlichen Anlaufwinkel in die Rille der Stützenschuhe einlaufen, wurden vor und hinter den Stützenschuhen Kragarme angeordnet, die an den Schuhenden um eine horizontale Achse drehbar gelagert sind. Am streckenseitigen Ende der Kragarme wird das Tragseil mit einer Klemme – ähnlich wie bei Seilreitern – festgehalten und kann sich an diesem Punkt daher nur lotrecht, nicht aber horizontal verschieben.
In dem Zusammenhang soll erwähnt werden, dass die Fahrzeuge der Cabrio-Bahn nicht mit Tragseilbremsen ausgestattet sind. Dies war möglich, weil das obere und untere Zugseil jeweils als geschlossene Zugseilschleife ausgeführt ist und damit die Bedingungen der Seilbahnnorm EN 12929-2 für Pendelbahnen ohne Tragseilbremse eingehalten werden konnten. Durch den Verzicht auf die Tragseilbremse konnte der Umschlingungswinkel der Tragseilrille in den Stützenschuhen mit 180° gewählt werden – optimal für die sichere Tragseilführung.
Ein weiterer Vorteil der Kabinenführung zwischen den Tragseile soll nicht unerwähnt bleiben: Die visuelle Inspektion der Tragseile kann von den Kabinen aus besser und sicherer als bei anderen Seilbahnen durchgeführt werden.

Seilführung der Zugseile
Der Antrieb ist in der Talstation auf der bergwärts gesehen linken Fahrbahnseite angeordnet. Zwei Asynchronmotoren werden von zwei Frequenzumrichtern angespeist (die elektrotechnischen Einrichtungen wurden von der Frey AG geliefert). Abb. 1 zeigt eine Schemazeichnung der Seilführung samt Antriebsmaschine in axonometrischer Darstellung – verwirrend, wie da die endlose Schleife des unteren Zugseiles von zwei zweirilligen Antriebsscheiben mit je einer Gegenscheibe über insgesamt sechs Umlenkscheiben auf die Strecke geführt wird, noch dazu sind in der Zeichnung die rechte Antriebs- und Gegenscheibe nicht dargestellt. Etwas klarer nachzuvollziehen ist die Zugseilführung anhand der Schnittzeichnung der Talstation (Abb. 2) und der Grundrissdarstellung des gesamten Seilführungssystems (Abb. 3). Wegen der gegenseitigen Überdeckungen und aus Gründen der Übersichtlichkeit konnten nicht alle Abschnitte des Zugseiles farblich hervorgehoben werden.
In der Bergstation befindet sich die Zugseilspanneinrichtung. Hier ist die Seilführung vergleichsweise einfach. Jeder der vier von der Strecke kommenden Stränge der oberen Zugseilschleife wird über je zwei Ablenkscheiben zum Spanngewicht geführt, wo sie über vier Umlenkscheiben paarweise miteinander verbunden sind. Abb. 4 zeigt die Führung des oberen Zugseiles in einem Schnitt durch die Bergstation quer zur Bahnachse, Abb. 5 in einem Schnitt in Bahnachse.
Bleibt nur mehr, die Zugseilführung an den Fahrzeugen zu beschreiben (Abb. 6). Diese erfolgt ähnlich dem Funifor-System mittels je zweier Umlenkscheiben für das obere und untere Zugseil. Die Scheiben sind am Querträger des Fahrzeugrahmens gelagert, jeweils zwei übereinander. Im Normalbetrieb sind die Scheiben nur da, um eventuell entstehende Kraftdifferenzen auszugleichen; deswegen drehen sie sich praktisch nicht. Im Fall der Störung an einer der beiden Antriebsscheiben kann diese stillgesetzt werden und die Fahrzeuge über die verbleibende Antriebsscheibe und den beweglich gebliebenen Strang des unteren Zugseiles in die Stationen zurückgeführt werden, wobei sich die Umlenkscheiben des unteren Zugseiles an den Fahrzeugen drehen (Flaschenzugprinzip). Diese Möglichkeit ist ein wichtiger Bestandteil des an der Cabrio-Bahn eingerichteten integrierten Bergesystems, also die Rückführung der Fahrzeuge in die Stationen in jedem anzunehmenden Störungsfall. Auch ist es möglich, die Seilschleifen zu bewegen ohne die Fahrzeuge zu bewegen; zur Bewegung der oberen Schleife, die nicht direkt angetrieben wird, werden die zwei übereinander liegenden Umlenkscheiben am Fahrzeug miteinander verbunden, wodurch die Umlenkscheibe der unteren Seilschleife (die von der angetriebenen unteren Schleife gedreht wird) die Umlenkscheibe der oberen Seilschleife antreibt und somit die obere Seilschleife in Bewegung setzt. Dadurch werden Inspektions- und Wartungsarbeiten am Zugseil stark vereinfacht.

Weltneuheit Cabrio-Kabine
Während alle Seilführungs-Spezialitäten der Cabrio-Bahn den Fahrgästen völlig verborgen bleiben, sind die von Gangloff gelieferten Kabinen von den Passagieren unmittelbar als faszinierende Neukonstruktion erlebbar – auch hier nicht die technischen Feinheiten, sondern die Idee des offenen Oberdecks und das elegante Design, mit dem Gangloff bei der Ausschreibung punkten konnte. Die klare Linienführung und die Farbgebung in einem eleganten Metallic-Weiß passen hervorragend zum futuristischen Seilbahnprojekt der Cabrio-Bahn. Dazu kommt – abgesehen vom offenen Oberdeck – der Einsatz großer Glasflächen zur freien Sicht auf die Bergwelt.
Gegenüber konventionellen Pendelbahnkabinen ist die Cabrio-Kabine technisch und stilistisch eine komplette Neuentwicklung von Gangloff. Wir widmen daher diesem außergewöhnlichen Fahrzeug, das bereits auf einer Sondermarke der Schweizer Post mit Ausgabetag 9. Mai 2012 abgebildet ist, einen eigenen Beitrag auf Seite 16 dieser ISR-Ausgabe.

Josef Nejez

 

TECHNISCHE DATEN

Cabrio-Bahn Stanserhorn
2-Wagen-Pendelbahn, neues System mit Funifor-ähnlicher Seilführung

Seehöhe Talstation 714 m
Seehöhe Bergstation 1.898 m
Schräge Länge 2.319 m
Höhenunterschied 1.184 m
Stützenanzahl 4
Tragseildurchmesser 4 x 66 mm
Spurweite der Tragseile 5,00 m
Durchmesser oberes Zugseil 30 mm
Durchmesser unteres Zugseil 26 mm
Antrieb Tal
Max. Antriebsleistung Betrieb 919 kW
Max. Antriebsleistung Anfahren 994 kW
Wagenfassungsraum 60 Pers.
Max. Fahrgeschwindigkeit 8,0 m/s
Min. Fahrzeit 6,5 min
Förderleistung 465 P/h

Beteiligte Firmen:
Seilbahntechnik: Garaventa
Elektrotechnik: Frey AG Stans
Kabinen: Gangloff
Förderseil: Fatzer
Zugangsregelung zum Oberdeck:Bilexa

Cabrio-Fahrzeug vor der Talstation während der Inbetriebnahme; Foto: Stanserhorn-Bahn

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