Die Entstehung der ersten Bergbauernhöfe im heutigen Vinschgau geht bis ins Mittelalter zurück, als der Lebensraum in der meist sumpfigen Talsohle knapp und an vielen Stellen unbewohnbar war. Der Weg vom entlegenen Gehöft ins Tal und zurück war immer schwierig. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden auf den Hängen sogenannte Schussdrähte gespannt, auf denen Holz oder Heugebinde aufgehängt und ohne Zugseil, nur mittels Schwerkraft ins Tal herunterrutschten. Später wurden auch Feldseilbahnen mit Drahtseilen und mit Gegengewicht in Form eines Wasserkübels errichtet, mit den diverses Material auch bergwärts befördert wurde. Auf den Sonnenberghöfen in der Gemeinde Naturns gab es 192 derartige Feldseilbahnen! Zur Verbreitung kamen auch Seilwinden mit Verbrennungsmotoren oder, falls vorhanden, auch mit Wasserantrieb. Die Erstellung klassischer Materialseilbahnen begann jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, es gab in ihren Blütezeiten 48 solche Bahnen im Gebiet. Durch den Bau von Straßen sind inzwischen viele Feld- und Materialseilbahnen verschwunden.
Zwei Generationen Materialseilbahnen auf den Unterstell
Die erste Materialseilbahn zum Unterstell-Hof wurde im Jahr 1968 von Alois und Jolanda Götsch als einspurige Pendelbahn mit einer geschlossenen Kabine erbaut. Weil es am Berg keinen Stromanschluss gab, wurde die Bahn in der Bergstation mit einem Dieselmotor angetrieben. Die Bahn hatte sieben Holzstützen, und dass auch Personen mitfuhren, war damals selbstverständlich. Anfangs der 1970er Jahre hat die Bahn zur touristischen Entwicklung des Naturnser Sonnenbergs beigetragen. Als immer mehr Wanderer kamen, hat sich auch der Nachteil der einspurigen Bahn gezeigt: Die Kabine befand sich oftmals in der anderer Station, als in der man sie gerade gebraucht hätte, was die Zeit der Beförderung verdoppelte.
So entschloss man sich im Jahre 1979 zum Neubau einer Materialseilbahn mit zwei geschlossenen Kabinen und deutlich höherer Förderleistung – der später von Gästen liebevoll genannten Max & Moritzbahn. Die Bahn hatte sechs Stahlgitterstützen.
Im Jahr 1985 wurde der Meraner Höhenweg eröffnet, der noch mehr Wanderer in die Berge lockte. Bald entstanden in Vinschgau weitere private Kleinseilbahnen, mit den sich die Bauern einen willkommenen Nebenerwerb erwirtschafteten. Der Transport von Touristen wurde weiterhin stillschweigend geduldet.
Veränderte Situation
Im Jahr 1999 passierte bei einer privaten Seilbahn dieser Gattung im benachbarten Partschins ein Unfall. Eine 85-jährige Urlauberin, die nicht mehr gut bei Fuß war, konnte gerade noch einen Fuß in die Kabine setzen, als sich die Tür nach der üblichen angemessenen Zeit schloss und die Bahn zu fahren begann. Nach einigen Metern konnte sich die Frau nicht mehr an der Außenseite der Kabine halten, stürzte in die Tiefe und verunglückte tödlich.
Dieses Ereignis bedeutete das Ende der touristischen Nutzung dieser privaten Materialseilbahnen, das Tor zum Meraner Höhenweg und dem Naturpark Texelgruppe wurde für die Wanderer im wahrsten Sinne des Wortes zugeschlagen. Als langfristige Lösung dieser Situation konnte nur der Ersatz einiger dieser Bahnen durch konzessionierte Personenseilbahnen sein.
Dritte Seilbahn auf den Unterstell
Zum Bau einer zeitgemäßen Seilbahn auf den Unterstell hat der Bauer Konrad Götsch, Besitzer des Gasthauses Unterstell-Hof wie auch der Max & Moritzbahn, im Jahr 2003 die Firma Seilbahn Naturns GmbH gegründet. Mit viel Einsatz von Konrad Götsch, des Tourismusvereins Naturns, der Gemeinde Naturns und unter Mithilfe der Landesregierung in Bozen, vor allem des damaligen Direktors des Amtes für Seilbahnen Dr. Ing. Heinrich Brugger, konnte im März 2004 mit dem Bau der heutigen Seilbahn begonnen werden. Sie wurde innerhalb von sechs Monaten gebaut und konnte am 4. September 2004 eröffnet werden. Der Bahnbau wurde zu 45 % durch die Subvention der Autonomen Provinz Bozen finanziert, den Rest konnte durch Bankdarlehen mit einer Laufzeit von 20 Jahren gedeckt werden.
Die neue Bahn ist eine klassische Zweiseilpendelbahn mit zwei 25er-Kabinen und wird nur noch über zwei 25 m hohe Stahlrohrstützen geführt. Der Hauptantrieb und der hydraulische Notantrieb befinden sich in der Bergstation, wo auch ein Bergewagen und eine Bergewinde mit Rettungsseil für einen möglichen Einsatz bereitstehen. Die Bahn verfügt über je ein Tragseil pro Fahrspur und eine Zugseilschleife, die an den Laufwerken der Kabinen mittels 360º-Umschlingung trommelverankert ist. Diese Lösung ersetzt die früher gängige Zugseilbefestigung mittels Vergussmuffen und ermöglicht somit die Seilkontrolle auf der ganzer Seillänge sowie auch das alljährliche Versetzen des Zugseiles. Die Laufwerke sind mit Fangbremsen ausgerüstet. Die Tragseile und das Zugseil sind fest abgespannt, was eine besonders kompakte Bauweise der offenen Stationen ermöglichte. Die Zugseilschleife kann für die Kompensation der Seildehnung mit einer verschiebbar befestigten Umlenkscheibe in der Talstation nachgespannt werden. Die ganze Strecke einschließlich der Talstation wird videoüberwacht, die Bahn darf mit einer einzigen Person vom Kommandoraum in der Bergstation aus bedient werden. Direkt an der Talstation befinden sich ausreichend Parkplätze.
Überdachung mit Photovoltaik
Schon in den ersten Betriebsjahren hat sich gezeigt, dass es nötig wurde, die technischen Anlagen der Seilbahn und auch die Fahrgäste vor Nässe und Regen zu schützen. Hand in Hand damit wollte man die sonnige Lage der Stationen für den Bau von Solaranlagen nutzen. Die vom Architekten Karl Götsch entworfene Einhausungen der Stationen erfüllen mehrere Funktionen in Einem: Überdachung, Wetterschutz, Fassade, Verschattung und Solaranlage. Von großer Bedeutung war auch der ästhetische Aspekt der geplanten Überdachung.
Eine gebäudeintegrierte Photovoltaikanlage mit halbtransparenten Modulen war eine Lösung, die zudem ausreichend Tageslicht in das Gebäudeinnere lässt. Die Module sind in die Seitenfassaden und in die südliche Schräge der Dächer integriert. Die Installation von Photovoltaik auf den zusätzlich gebauten Stationsüberdachungen ist eine Investition, die sowohl aus Umweltgründen als auch vom wirtschaftlichen Aspekt her sehr interessant ist, zumal der Bahnbetreiber in den Genuss einer Förderung kommt, die der Staat für Photovoltaikanlagen vorsieht.
Im Jahr 2007 wurde die Überdachung der Talstation mit 190 m2 an Photovoltaikmodulen gebaut, im Jahr 2013 folgte auch die Überdachung der Bergstation mit 254 m2. Die durchnittliche Jahresproduktion von 54.000 kWh beider Stationen deckt bei Weitem den Energiebedarf der Seilbahn.
Aussichtsplattform
Konrad Götsch ist nicht nur Bergbauer, Hofbesitzer und Verantwortlicher der Seilbahn, er kümmert sich auch um den Naturnser Sonnenberg. Im Jahr 2015 ließ er auf einem Felssporn etwa zehn Gehminuten von der Bergstation entfernt, wo einst eine Seilbahnstütze der Etscherwerke stand, eine 16 m auskragende Aussichtsplattform mit eigenen Geldmitteln bauen. Es können bis zu 50 Personen gleichzeitig einen Panoramablick genießen – vom Meraner Talkessel bis zu den Bergen der Ortlergruppe. Am Felsen, auf dem die Aussichtsplattform verankert ist, wurde auch noch der Übungs- und Familienklettersteig Knott errichtet.
Zahlreiche Wanderwege
Von der Bergstation Unterstell können mehrere Wanderziele erkundet werden. Familien mit Kleinkindern entscheiden sich für eine der Rundwanderungen, die ohne Pause rund eineinhalb Stunden dauern. Die Bahn ermöglicht auch einen bequemen Einstieg zum Meraner Höhenweg und für Bergsteiger Gipfelanstiege im Naturpark Texelgruppe. Beliebt ist eine ganztägige Wanderung: Bergfahrt mit der Seilbahn Naturns – Unterstell, entlang des Meraner Höhenweges zur Bergstation Giggelberg und mit der Texelseilbahn wieder ins Tal oder umgekehrt; für die Seilbahnfahrten gibt es ein Kombiticket.
Roman Gric