Erschließung eines mythischen Berges
Wie wird ein Mythos begehbar? Ganz einfach, man baut eine Bergbahn. So dachte über die Erschließung des 1.874 m hohen Jenners schon nach dem Kriegsende die Bevölkerung des Berchtesgadener Talkessels, unterstützt von lokalen Hoteliers und Kommunalpolitikern. Im Jahr 1953 war es so weit: die 3.320 m lange kuppelbare Einseilumlaufbahn in zwei Teilstrecken hat ihren Betrieb mit 140 offenen Doppelsesseln und 30 geschlossenen Zweierkabinen eröffnet. Mit der Technik der Schweizer Firma Von Roll unter Verwendung der ersten für eine Einseilumlaufbahn für Personentransport zugelassenen Kuppelklemme, der legendären VR-101-Klemme, wurde die Bahn von der Firma Allgäuer Bergbahn- und Ingenieurbau-Gesellschaft-Werke (ABIG) in Oberstdorf gebaut. Die Bahn, die aus dem Berchtesgadener Land nicht mehr fortzudenken ist, wurde während ihrer langen Geschichte mehrmals modernisiert.
Bereits im Jahr 1961 bekam sie 30 Zweierkabinen der zweiten Generation, im Jahr 1976 wurde eine automatische Gehängeförderanlage in den Stationsumläufen montiert. Im Jahr 1978 lieferte CWA 170 speziell für diese Bahn neuentwickelten Zweierkabinen mit Türautomatik, die das Erscheinungsbild der Jennerbahn bis zu ihrer Einstellung am 5. März 2017 prägten. In 64 Betriebsjahren beförderte die Jennerbahn über 10 Mio. Personen.
Grundsätzliche Erneuerung des Gebietes
Die Sanierung der alten Jennerbahn mit ihrer Förderleistung von 480 P/h hätte nach 64 Betriebsjahren wirtschaftlich keinen Sinn mehr. Die Ansprüche an die touristische Infrastruktur sind heute ganz andere als vor über 60 Jahren. So entschied sich die Berchtesgadener Bergbahn AG nicht nur dazu, die Jennerbahn neu zu bauen, sondern gleich das ganze Gebiet für die Gäste im Sommer wie im Winter modern, nachhaltig und barrierefrei upzudaten.
Neben der neuen Hauptbahn, einer 10er-Kabinenbahn in zwei Teilstrecken, wurden auch die Wintersportanlagen im Gebiet erneuert. Zwei fixen Doppelsesselbahnen aus den 80er-Jahren, die Jennerwiesenbahn und die Mitterkaserbahn, wurden durch zwei neue kuppelbare 6er-Sesselbahnen mit Direktantrieb und Wetterschutzhauben ersetzt. Im Dezember 2018 wurde die 602 m lange neue Jennerwiesenbahn eröffnet. Sie verläuft parallel zur ersten Teilstrecke der Kabinenbahn und erschließt eine familienfreundliche Piste. Der Ausstieg befindet sich neben der Mittelstation der Kabinenbahn. Neben dem Leitner DirectDrive verfügt die Bahn über Einzelfußraster und automatische Schließbügelverriegelung.
Der Bau der neuen Mitterkaserbahn hat sich aufgrund des harten Winters 2018/2019 und der darauffolgenden verpflichtenden Bauruhe wegen der Birkhuhnbalz erst in die Sommermonate 2019 verschoben. Diese ebenfalls mit einem Direktantrieb ausgerüstete Bahn geht in der Wintersaison 2019/2020 in Betrieb.
Es blieb nur noch die Krautkaserbahn, eine ebenfalls von Leitner bereits im Jahr 2013 gebaute kuppelbare 4er-Sesselbahn.
Grund für die Entscheidung für Leitner ropeways war unter anderem der Leitner DirectDrive, der bei allen neuen Bahnen zum Einsatz kommt. Ebenso war mit Blick auf die Fahrgäste die Ausführung der Schiebetüren in der neuen EVO-Kabine für den ganzjährigen und möglichst barrierefreien Seilbahnbetrieb auf dem Jenner wichtig. Über die Planung der Jennerbahn haben wir bereits in der ISR 4/2019, S. 36–37 berichtet.
Jennerbahn neu
Nach zwei Jahren Planungsarbeit wurde im Frühjahr 2017 mit dem Neubau der Jennerbahn begonnen. Die Lage der Stationen und die Trasse der Bahn in zwei Teilstrecken wurden beibehalten.
Die Bausubstanz im Bereich der Talstation wurde in zwei Gebäudekomplexe geteilt, um eine allzu große einzige Baukubatur zu vermeiden. In einem Gebäude sind neben der Talstation der Bahn mit entsprechenden Warteräumen ein Sportgeschäft und ein Skidepot mit 200 Depotkästen und mit einem Beauty-Bereich untergebracht. Im anderen Gebäude finden neben einem Souvenirgeschäft und einem Bistro auch die Verwaltungsräume Platz.
In der Mittelstation befinden sich die Direktantriebe beider Teilstrecken und der unterirdische Abstellbahnhof für 45 Kabinen. Die restlichen 15 Kabinen werden im Stationsumlauf der Talstation garagiert. Der Antrieb der unteren Teilstrecke ist in der Mittelstation auf der Brücke starr angeordnet, die Spanneinrichtung befindet sich in der Talstation. Hingegen wird der Antrieb der oberen Teilstrecke in der Mittelstation gespannt, die Bergstation ist eine starre Umlenkstation. Die Kabinen fahren im Normalbetrieb durch die Mittelstation durch. Bei zu hohen Windstärken am Berg ist auch ein separater Betrieb der unteren Teilstrecke möglich. Für die obere Teilstrecke gibt es in der Mittelstation keinen Stationsumlauf, sie wird immer nur mit dem unteren Abschnitt gemeinsam betrieben. Zwischen den Stützen Nr. 14 und 19 unterhalb der Bergstation ist die Bahn wegen der höheren Windstärken im Gipfelbereich mit der zusätzlichen Seillageüberwachung CPS (Cable Position Supervision) ausgestattet.
Die Bergstation der Jennerbahn wurde als gemeinsame Bergstation mit der kuppelbaren 6er-Sesselbahn Mitterkaserbahn konzipiert. Der Gebäudekomplex der Bergstation bietet Platz für einen Gastronomiebetrieb mit 450 Außenplätzen und 350 Innenplätzen, einer modernen Bar sowie mietbaren Veranstaltungsräumen und nicht zuletzt mit der Infostelle des Berchtesgadener Nationalparks über den einzigen alpinen Nationalpark Deutschlands.
Die alte Bahn hatte 175 Kabinen und Spezialgehänge und benötigte für die ganze Trasse 43 Stützen. Die neue Bahn kommt mit nur noch 19 Stützen, 60 Kabinen und vier Sonderfahrzeugen aus. Einer der Sonderfahrzeuge hat die Form einer Lastplattform, die Raum für den Transport von bis zu drei Drachenflieger mit bis zu 5 m Länge bietet und damit eine wesentliche Zusatzfunktion in dem bei Flugsportlern beliebten Gebiet erfüllt. Eine Kabine ohne Sitzbänke dient dem Frachtentransport für die Versorgung der Restaurants. Die Förderleistung der neuen Bahn von 1.600 P/h dient nicht unbedingt dazu, möglichst viele Menschen auf den Jenner zu bringen, sondern um die früher langen Wartezeiten zu verkürzen.