Der Weissenstein
Schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts kamen erste Touristen per Kutsche auf den 1.280 m hohen Weissenstein, eine Sonnenterasse im Juragebirge, von der man bei guter Sicht die ganze Alpenkette von Säntis bis zum Mont-Blanc beobachten kann. 1827 wurde anstelle einer Sennhütte ein erstes Gästehaus gebaut, wo u.a. die erfolgreichen Molkekuren angeboten wurden (Molke ist ein Nebenprodukt der Käseherstellung und war am Weissenstein immer reichlich vorhanden). Deshalb heißt bis heute das Hotel am Weissenstein „Kurhaus“.
Die letzte VR-101-Sesselbahn der Schweiz
Seit dem 29. Dezember 1950 konnten die Besucher auch mit einer Sesselbahn auf den Weissenstein gelangen. Diese in zwei Teilstrecken gebaute kuppelbare Einseilbahn mit quer zur Fahrtrichtung angeordneten Doppelsesseln war - abgesehen von temporären Ausstellungsbahnen - eine der zwölf Sesselbahnen und einer 2er-Kabinenbahn, die mit den VR-101-Klemmen von Von Roll in der Schweiz gebaut wurden. Als letzte dieser Bahnen stellte die Weissensteinbahn am 1. November 2009 ihren Betrieb ein. So blieb die nach der Von-Roll-Lizenz systemgleich gebaute Sesselbahn Krupka – Komáří vížka (Mückentürmchen, Tschechien) aus dem Jahr 1952 gegenwärtig weltweit die einzige im Betrieb stehende Sesselbahn dieser Art.
Widerstände seitens des Schweizer Heimatschutzes, der die historische Sesselbahn sanieren wollte, verzögerten den Neubau einer Seilbahn zum Weissenstein um etwa fünf Jahre. Die Aussage des BAV (Bundesamt für Verkehr) war aber klar: „Wir sind überzeugt, dass dieser Bahntyp sicherheitstechnisch nicht sanierbar ist und die Bahn erhält von uns nie mehr eine Bewilligung. Durch die Maßssnahmen, die für einen Weiterbetrieb notwendig wären, würde die Sesselbahn so stark verändert, dass es sich um eine Nachbildung und nicht mehr um die historische Sesselbahn handeln würde“. Die Auseinandersetzungen gingen bis in die höchsten Gerichtsebenen und es dauerte einige Jahre, bis eine Baubewilligung für die neue Bahn erteilt werden konnte.
Neue Bahn in zehn Monaten Bauzeit
Im Oktober 2013 starteten die Abbrucharbeiten der Sesselbahn und am 13. Februar 2014 begannen an der neuen Kabinenbahn die Bauarbeiten. Bis zu 30 Monteure waren gleichzeitig am Berg, damit die Bahn pünktlich zur geplanten Eröffnung am 20. Dezember 2014 ihren Betrieb aufnehmen koönnte. An beiden Teilstrecken wurde parallel gearbeitet.
Die Streckenführung und die Positionen der Stationen wurden praktisch nie verändert. Aufgrund des Streckenprofils, der Streckenlänge und der angestrebten Zielgruppen von Besuchern hat man sich im Vergleich zu der alten Bahn für den Bau einer 6er-Kabinenbahn mit einer doppelten Förderleistung entschieden.
Im Gegenteil zur Vorgängerbahn mit zwei separaten Teilstrecken mit je einem Antriebsmotor und mit durchgehendem Sesselbetrieb verfügt die neue Bahn in der Mittelstation über einen einzigen Unterflurantrieb mit einer zweirilligen Antriebsscheibe, jede Teilstrecke mit eigener Förderseilschleife. So können natürlich beide Teilstrecken nur gleichzeitig und mit derselben Geschwindigkeit betrieben werden. Diese Maßnahme war nötig, um die Mittelstation gemäß den Umweltschutzauflagen möglichst kurz zu bauen. In der Tal- und Bergstation sind beide Förderseilschleifen hydraulisch gespannt.
Außergewöhnliche Bahnarchitektur
Nicht nur die seilbahntechnischen Einrichtungen, auch die Stationen sind nicht alltäglich. Die vom Solothurner Architekten Guido Kummer entworfenen neuen Stationsgebäude erinnern in ihrer Holzbauweise an liegende Baustämme und verleihen der Bahn ein futuristisches Aussehen. Die runden Gebäude mit einigen scheinbar in der Luft frei schwebenden Betonelementen passen sich gut in die Juralandschaft ein. Dies überzeugte die Jury beim Architekturwettbewerb.
Effiziente Betriebsführung mit modernen Kabinen
Auch wenn die Bahn bei 5,0 m/s eine Förderleistung von 900 P/h erreicht, wird sie in der Regel im Normalbetrieb mit 3,0 m/s betrieben, wobei auch die Bestückung mit allen 49 Kabinen nach Bedarf reduziert werden kann. In den Randzeiten kann die Bahn im sogenannten Konvoibetrieb wie eine Gruppen-Umlaufbahn fahren. Dank Videoüberwachung und Lautsprecherdurchsagen an die Fahrgäste kann diese Betriebsart von einem einzigen Mitarbeiter aus der Talstation gesteuert werden.
Die Lieferung der 49 saphirblauen 6er-Kabinen dieser einzigen Seilbahn im Kanton Solothurn war für die Ooltener Firma CWA eine „Hausaufgabe“ (Olten liegt etwa 42 km von Weissenstein entfernt). 25 Kabinen sind mit je zwei Bike-Haltern ausgerüstet. Bei den Kabinen handelt es sich um den Bautyp Omega IV-6 LWI. Letztere Abkürzung steht für „Level Walk In“, den niveaugleichen Zusteig. So können Kinderwagen, Trittroller, Fahrräder, Rollstühle, Rollatoren und im Winter auch Schlitten bequem befördert werden. Der Abstellbahnhof für alle Kabinen befindet sich in der Talstation.
Die Bahn wurde für 65 Kabinen dimensioniert und bewilligt. So kann man künftig bei Bedarf durch Ankauf von weiteren Kabinen problemlos eine Förderleistungserhöhung von bis zu 1.200 P/h erreichen.
„Nach dem einige Kinderkrankheiten beseitigt wurden, sind wir mit der neuen Bahn sehr zufrieden. Dank der neuen Bahn ist auch die Besucherstruktur bunter geworden. Neben den Touristen, Ausflüglern und Radfahrern kommen oftmals auch Autobusse mit hunderten Senioren, viele mit Rollstühlen oder Rollatoren, die mit der alten Sesselbahn überhaupt nicht hätten befördert werden können“, teilte der Geschäftsführer und technischer Leiter Konrad Stuber der ISR mit.
Buchtipp
Für jene, die mehr über die Geschichte des Weissensteins und seiner Sesselbahn, über die Geschichte der legendären VR-101-Bahnen, wie auch über die neue Kabinenbahn erfahren möchten, ist das mit vielen großformatigen Farbbildern bestückte 200-seitige Buch „Die Sesselbahn am Weissenstein 1950 – 2009“ zu empfehlen. Im Buch ist auch eine DVD mit Videoaufnahmen des Betriebes der Sesselbahn eingelegt. Zu erhalten beim Rothus Verlag Solothurn zum Preis von 48,- CHF exkl. Versandkosten.