An der 61. ITTAB zählte man knapp 50 Teilnehmer aus 18 Ländern. Wie schon seit mehreren Jahren nahmen neben den Vertretern der meisten europäischen Seilbahnländer auch solche aus anderen Kontinenten teil, wie aus Argentinien, China, Hongkong oder Japan. Leider konnten heuer die Behördenvertreter aus den USA und Kanada aus budgetären Gründen nicht nach St. Anton kommen.Wieder hat sich herausgestellt, dass sich durch die langjährige Tradition der ITTAB ein Vertrauensverhältnis zwischen den Seilbahn-Aufsichtsbhörden aufgebaut hat, das die offene Diskussion technischer und organisatorischer Probleme ermöglicht. Dies führt einerseits zu einem Abbau von Meinungsverschiedenheiten und Missverständnissen zwischen den Seilbahnländern und andererseits zu einer Verbesserung im Bereich der behördlichen Verwaltungstätigkeit, weil die einzelnen Länder von den Erfahrungen der anderen profitieren können.Die heuer vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) in St. Anton ausgerichtete Tagung war hervorragend organisiert. Das „Hotel Post“ war in der Tagungswoche eigens für die ITTAB-Teilnehmer geöffnet und bot höchste Qualität und besten 4-Sterne-Komfort. Dr. Peter Sedivy, leitender Techniker in der österreichischen Seilbahnbehörde, führte in lockerer, integrativer Art durch die Arbeitssitzungen und trug damit wesentlich zur guten Atmosphäre auf der 61. ITTAB bei.
Unfallberichte
Die Unfallberichte des Jahres 2010 enthalten lediglich einen tödlichen Fahrgastunfall und einen tödlichen Arbeitsunfall.
Kanada meldet den Sturz einer 75-jährigen Frau beim Einstieg zur Talfahrt auf einer kuppelbaren Sesselbahn. Sie wandte sich im letzten Moment vom Sessel ab, befolgte die Anweisungen des Stationsbediensteten nicht und wurde trotz Abschaltung der Bahn vom auslaufenden Sessel weitergeschoben, stürzte rücklings etwa 50 cm auf die Rampe ab und zog sich dabei tödliche Kopfverletzungen zu.
In China kam es bei einer Bergeübung auf einer Einseilumlaufbahn bei der Annäherung des Retters am Förderseil an die nächste Kabine zu einer Kollision, die für ihn tödlich endete.
Glimpflich verlief die Kollision eines mit zwei Personen besetzten 4er-Sessels mit dem nachfolgenden leeren Sessel. Der besetzte Sessel blieb am Ende der Ausfahrts-Rollenbatterie hängen, weil der Federtopf der fixen Klemme nicht ordnungsgemäß eingestellt und gesichert war und die Klemme rutschte; der nächste Sessel fuhr auf den hängen gebliebenen Sessel auf. Es gab keine Verletzten.
Schweiz
In der Schweiz wurde während der Bergfahrt einer mit 70 Personen besetzten Kabine einer Pendelbahn automatisch einen Nothalt ausgelöst. Die Überwachung der Steuerung zeigt einen Erdschluss an. Der Maschinist und die beiden Wagenbegleiter führten bei dichtem Nebel (Sichtweite ca. 10 m) eine Sichtkontrolle durch; der Wagenbegleiter Bergfahrt prüfte beispielsweise das Zugseil im Bereich Laufwerk und Gehänge. Da kein Problem festgestellt wurde, wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass alles in Ordnung wäre. 15 Minuten nach Auslösung des Nothalts wurde die Erdschluss-Überwachung überbrückt. Der Anfahrversuch gelang, eine Testfahrt (kontrollierte Fahrt mit minimaler Geschwindigkeit) über ca. 30 m verlief ohne Probleme. Die Fahrt mit geringer Geschwindigkeit wurde daher fortgesetzt. Nach ca. 250 m erfolgte ein weiterer Nothalt, das Telefonseil riss und fiel auf das Dach der bergwärts fahrenden Kabine. Die Rekonstruktion des Ereignisses ergab, dass sich am Telefonseil aufgrund hoher Luftfeuchtigkeit und schnell wechselnder Wetterbedingungen vermutlich ein Eisbehang gebildet hatte, der den Seildurchhang und die Windangriffsfläche des Seiles vergrößert hatte. Durch eine Windböe wurde das Telefonseil unter die rechte Fahrbahn gedrückt und verhängte sich an einer an den Doppeltragseilen angeordneten Zugseilaufhängung. Die Erdschluss-Überwachung sprach an und leitete den Nothalt ein. Bei der Weiterfahrt mit überbrückter Erdschluss-Überwachung verfing sich das Telefonseil am Laufwerk und wurde so lange gedehnt, bis es riss. Es wurde also eine Überbrückung einer Sicherheitseinrichtung vorgenommen, ohne dass alle möglichen Ursachen für das Ansprechen der Erdschluss-Überwachung abgeklärt worden waren.
Österreich
Österreich berichtete aus Aktualitätsgründen über einen schweren Fahrgastunfall, der sich im Februar 2011 ereignet hatte und damit nicht für die Unfallstatistik das Jahres 2010 zählt. Bei einer 4er-Kabinenbahn (Baujahr 1987) stürzte ein siebenjähriger Bub aus einem Fahrzeug ca. 15 m ab. Ursache für den Unfall war eine nicht ordnungsgemäß geschlossene Kabinentüre. Der Bub ließ laut eigenen Angaben nach dem Einsteigen einen Fuß von der schließenden Kabinentüre einklemmen und zog ihn noch vor dem Verlassen der Station aus dem Türspalt zurück. Im weiteren Fahrtverlauf wollte der Bub den Sitzplatz wechseln, stieß dabei an die Kabinentüren, die unvermutet nachgaben. Eine eindeutige Ursache für das Versagen der Türverriegelung konnte nicht festgestellt werden; gemäß dem eingeholten Gutachten hätten umfangreiche Versuche ergeben, dass sowohl Verschleiß und Ermüdung einzelner Bauteile als auch Einstelltoleranzen die ordnungsgemäße Funktion des Türmechanismus wesentlich beeinflussen. Das Gutachten empfiehlt entsprechende Erneuerungen und Wartungsarbeiten sowie betriebliche Kontrollen des Türmechanismus; die Umsetzung dieser Maßnahmen wurde von der Seilbahnbehörde vorgeschrieben.
Deutschland
In Deutschland kam es im August 2011 zu einem medienwirksamen Stillstand einer Pendelbahn. Ein Gleitschirmflieger mit einer Begleitperson flog gegen die Seile, wobei sich der Gleitschirm und dessen Leinen mehrmals um die Seilbahnseile wickelten. Die Gleitschirmflieger kamen mit leichten Verletzungen davon. Alle Fahrgäste konnten unverletzt aus der Seilbahn evakuiert werden – dies dauerte jedoch bis zu 17 Stunden. Über die näheren Umstände, warum es zu einer derart langen Bergezeit kommen konnte, werden uns die deutschen Behördenvertreter in einem eigenen Artikel für die ISR schildern.
Frankreich
Frankreich berichtete über einen tödlichen Fahrgastunfall im Jahr 2011, der auf mangelhafte Überwachung des Ausstiegs an einer kuppelbaren 6er-Sesselbahn zurückzuführen ist. Ein 14-jähriger Bub hatte seinen Rucksack bei der Bergfahrt nicht vom Rücken genommen und blieb beim Ausstieg mit dem Rucksack am Sessel hängen. Dies wurde vom Stationsbediensteten nicht bemerkt. Der Bub wurde talwärts aus der Station gezogen, und erst nach Meldung durch Skifahrer, die den Buben unter dem Sessel hängen sahen, wurde die Sesselbahn stillgesetzt. Er befand sich bereits ca. 100 m außerhalb der Station und konnte nur mehr tot geborgen werden. Dieser Unfall führte bei den ITTAB-Teilnehmern zur Diskussion, inwieweit Ausstiegsüberwachungen, wie sie für fixgeklemmte Sesselbahnen in der Seilbahnnorm bereits obligatorisch sind, auch für kuppelbare Sesselbahnen zwingend vorgesehen werden sollten. Es wurde angeregt, diese Frage an die zuständige Arbeitsgruppe im CEN TC 242 heranzutragen.
Schwerpunktthemen
Bei jeder ITTAB ist die Behandlung von Schwerpunktthemen und speziellen technischen Fragen, die die Delegationen für die Tagung vorbereitet haben und zur Diskussion stellen, ein wichtiger Abschnitt des Tagungsprogramms.
Dazu zählten heuer unter anderem die Themen integriertes Bergesystem, Maßnahmen gegen Abstürze von Fahrgästen bei Sesselbahnen, Erkennung von Blitzschlagschäden an Tragseilen, Fahrgast-Förderbänder mit erhöhter Geschwindigkeit und ein Bericht über Erfahrungen bei der Überprüfung der elektrischen Anlagen von vorwiegend älteren Seilbahnen.
Integriertes Bergesystem: In Frankreich gab es erstmals 1990 bei der Seilbahn Aiguille du Midi 2 in Chamonix die Zustimmung der Behörde zu einem Bergesystem, das die Beweglichkeit des Zugseiles und der Kabinen unter allen Umständen voraussetzt. In der Folge wurde dieses Konzept bei zwei Pendelbahnen und bei einer Funitel mit Pendelbetrieb umgesetzt. Alle diese Bahnen haben keine Streckenstütze zwischen den Stationen. Das galt bisher in Frankreich als Voraussetzung für die Durchführbarkeit des integrierten Bergesystems.
Derzeit wird in Frankreich über das Projekt einer 3S-Bahn mit Streckenstützen diskutiert, bei der das integrierte Bergesystem eingesetzt werden soll. In Deutschland und in Österreich ist bereits je eine derartige 3S-Bahn in Betrieb. Bei der Diskussion im Rahmen der ITTAB wurden die verschiedenen Standpunkte ausgetauscht, und man kam zum Ergebnis, dass es bei 3S-Bahnen möglich sei, durch geeignete Maßnahmen mit dem integrierten Bergesystem eine mindestens gleichwertige Funktionalität und Sicherheit wie mit Bergeseilbahnen zu erreichen.
Anders wurde die Situation bei Einseilumlaufbahnen beurteilt. Hier scheint es nicht möglich zu sein, die Beweglichkeit des Förderseiles auf der Strecke für jeden denkbaren Störfall zu garantieren. In Österreich hat man sich daher zu folgender Lösung entschlossen: Wenn bei Einseilumlaufbahnen das integrierte Bergesystem gewählt wird, müssen für den sehr unwahrscheinlichen Fall der Unbeweglichkeit der Bahn konventionelle Bergemöglichkeiten bestehen, die bei konventioneller Bergung vorgeschriebene maximale Bergezeit darf jedoch überschritten werden.
Abstürze aus Sesselbahnen: Bekanntlich stellen Abstürze aus den Sesselbahn-Sesseln eine vergleichsweise häufige Unfallursache bei diesem Seilbahnsystem dar. So berichtet Frankreich, dass es in den letzten fünf Wintersaisonen zu 70 Stürzen aus Sesselbahnen gekommen ist. 60 % der Anlagen waren betroffen. Glücklicherweise gab es dabei keine Todesfälle, jedoch 20 Schwerverletzte.
In den letzten Jahren sind verschiedene Einrichtungen zur Verringerung der Absturzgefahr entwickelt worden – insbesondere gegen die Gefahr des Absturzes von Kindern:
- Verschieden ausgebildete Sicherheitsbügel zwischen den Beinen (montiert am Schließbügel),
- Magnestick-kid (elektromagnetisches Festhalten der mit einem „Rucksack“ ausgestatteten Kinder),
- Magnestick-bar (elektromagnetisches Verriegeln des Schließbügels),
- Mechanisches Verriegeln des Schließbügels,
- Fahrgasthinweis für das Öffnen des Schließbügels mittels LED-Signalisation (nur Österreich).
Alle diese Möglichkeiten wurden diskutiert sowie die bisherigen Erfahrungen ausgetauscht. Aus sicherheitstechnischer Sicht bieten automatisch verriegelbare Schließbügel mit Einrichtungen gegen das Durchrutschen unter dem Schließbügel den höchsten Schutz.
Erkennen von Blitzschlagschäden an Tragseilen: In der Schweiz wurde ein 1999 aufgelegtes Tragseil erstmals im Jahr 2000 magnetinduktiv untersucht, ein zweites Mal im Jahr 2005. Bei der zweiten Untersuchung wurden zwei benachbarte Schadenstellen zwar entdeckt und deren Lage im Prüfbericht angegeben, deren Gefahrenpotenzial und Ursache wurden jedoch nicht erkannt. Erst bei der dritten magnetinduktiven Prüfung im Jahr 2011 wurde der Seilschaden in vollem Umfang offenbar als durch Blitzschlag entstanden diagnostiziert (siehe Abbildung). Eine Blitzschlagstelle lag auf der Seilunterseite, die andere seitlich. Beide Schadenstellen waren weder von der Seiloberseite, noch vom Gehänge aus zu sehen. Damit bestätigt sich eine der Schwächen der visuellen Seilkontrolle, nämlich dass eine verlässliche Übersicht über die gesamte Seiloberfläche kaum möglich ist. Die magnetinduktive Seilprüfung ergab im Diagramm ein zwar deutliches, aber ansonsten unauffälliges Drahtbruch-ähnliches Signal. Lösungen für diese Problematik werden in der Verbesserung der visuellen Kontrollen mittels automatisierter optischer Hilfsgeräte gesehen.
Über den französischen Bericht betreffend Fahrgast-Förderbänder mit erhöhter Geschwindigkeit und über Erfahrungen des TÜV-Süd bei der Überprüfung der elektrischen Anlagen von vorwiegend älteren Seilbahnen werden wir gesondert berichten.
Rahmenprogramm
Das Rahmenprogramm umfasste Seilbahn- und Werksbesichtigungen.
Ein Höhepunkt war zweifellos der Besuch der neuen Gaislachkoglbahn in Sölden. Hier konnten sich die Tagungsteilnehmer direkt über das erstmals in Österreich bei einer 3S-Bahn zugelassene integrierte Bergesystem informieren. Und das Wetter spielte mit!
In St. Anton wurde die für ihre „Riesenräder“ bekannte Galzigbahn aus dem Jahr 2006 (Doppelmayr) und die Talstation der neuen Rendlbahn (Leitner) besichtigt. Das anschließend von den Arlberger Bergbahnen im Bergstationsrestaurant der Galzigbahn gegebene Abendessen war von erlesener Qualität!
Es lag nahe, im benachbarten Bundesland Vorarlberg die Werkshallen von Doppelmayr in Wolfurt und den Stahlbaubetrieb Gassner in Bludenz zu besuchen, der als jahrzehntelanger Zulieferer für Doppelmayr vorwiegend Seilbahnstützen und Sessel für Sesselbahnen produziert. Über diese Firmenbesuche werden wir gesondert berichten.
Ausblick
Es war diesmal nicht leicht, für das nächste Jahr ein Veranstaltungsland für die 62. ITTAB zu finden. Die Vertreter Norwegens, die bei der vorjährigen ITTAB ihre Bereitschaft unter Vorbehalt der Zustimmung der entscheidungsbefugten Stellen erklärt hatten, mussten leider absagen. Dankenswerter Weise erklärte sich Frankreich bereit einzuspringen, obwohl das Land nach den üblichen Gepflogenheiten noch nicht an der Reihe gewesen wäre. Auch für das Jahr 2013 gibt es bereits ein „Opfer“: Wenn nicht höhere entscheidungsberechtigte Kreise dagegen sind, wird Andorra die 63. ITTAB ausrichten.
JN