Die ITTAB ist eine Veranstaltung, deren Bedeutung in der Seilbahnbranche häufig unterschätzt wird. Das liegt vor allem daran, dass Seilbahnhersteller und -betreiber daran nicht teilnehmen können; diese Tagung ist im Wesentlichen den Vertretern von technischen Seilbahn-Aufsichtsbehörden vorbehalten. In diesem Gremium können technische und organisatorische Probleme der Behörden offen diskutiert werden; diese Gespräche tragen maßgeblich zu einem Abbau von Meinungsverschiedenheiten und Missverständnissen zwischen den Seilbahnländern bei. Das kommt der gesamten Seilbahnbranche zu Gute, weil schon im Vorfeld von behördlichen Maßnahmen hinsichtlich technischer und organisatorischer Probleme das Wissen und Verständnis der Entscheidungsträger ein höheres Niveau erreicht.
An der 60. ITTAB nahmen knapp 50 Teilnehmer aus 18 Ländern teil. Die Internationalität der ITTAB hat im Laufe der sechs Jahrzehnte, in denen sie ohne Unterbrechung jedes Jahr stattgefunden hat, laufend zugenommen. Heute nehmen neben Vertretern der meisten europäischen Seilbahnländer auch solche aus anderen Kontinenten teil, wie aus Argentinien, China, Hongkong oder Japan.
Unfallberichte und -statistik
Im Laufe der erwähnten Jahrzehnte hat sich natürlich auch für das Arbeitsprogramm eine Tradition entwickelt. So wird nach der üblichen Vorstellungsrunde der Delegationen in den ersten Arbeitssitzungen über außerordentliche Seilbahnunfälle und -zwischenfälle berichtet. Aus diesen Berichten können die Vertreter der jeweils anderen Delegationen wertvolle Hinweise für ihre eigene Überwachungstätigkeit gewinnen.
Die gleiche Zielsetzung wird mit der Unfallstatistik der ITTAB verfolgt, in der nach bestimmten Kriterien Unfall- und Ereigniszah-len zusammengestellt werden. Dies ermöglicht den Ländern einen Vergleich mit den Verhältnissen in anderen Ländern und natürlich das Erkennen von möglichen Schwachpunkten in der eigenen Aufsichtstätigkeit.
Schwerpunktthemen
Ein weiterer wichtiger Abschnitt des Tagungsprogramms ist die Behandlung von Schwerpunkt- und speziellen technischen Themen, die die Delegationen für die Tagung vorbereitet haben und zur Diskussion stellen, wie das Problem der Genehmigungspflicht von Um- und Zubauten oder Fragen bezüglich der Aufsichtstätigkeit im Zusammenhang mit der Schnittstelle zwischen Sommerrodelbahnen und Seilbahnen bzw. Schleppliften, die der Rückbringung der Rodeln dienen.
Veranstalter
Verantwortlich für die Ausrichtung der 60. ITTAB war ein Organisationsteam, das aus Vertretern des Schweizer Bundesamts für Verkehr (BAV) und des Interkantonalen Konkordats für Seilbahnen und Skilifte (IKSS) zusammengesetzt war. Was dieses Team geleistet hat, verdient wirklich höchste Anerkennung. Nicht nur, dass die Organisation der Arbeitssitzungen völlig reibungslos klappte, wurde den Teilnehmern auch hinsichtlich Qualität des (5-Sterne-)Tagungshotels und des Rahmenprogramms ein Niveau geboten, das keine Wünsche offenließ.
Rahmenprogramm
In der Umgebung des Tagungsortes Luzern, am westlichen Ende des Vierwaldstättersees gelegen, gibt es eine große Anzahl von attraktiven Ausflugszielen, die speziell für Seilbahntechniker höchst interessant sind.
Der nächstgelegene Aussichtsberg ist der Pilatus. Im auf knapp 2.100 m ü. M. gelegenen Bergrestaurant des Pilatus gab es am Abend des ersten Arbeitstages ein Dinner mit Präsentation des Projektes „Pilatus – fit for the future“, bei der eine Reihe von Bauvorhaben der Pilatus-Bahnen AG zur weiteren Aufwertung dieses touristischen Zielpunktes vorgestellt wurde. Während die Auffahrt zum Pilatus mittels einer Kabinen-Umlaufbahn und anschließender Pendelbahn erfolgt war, wurde für die Talfahrt
die weltweit steilste Zahnradbahn gewählt – für jeden Bergbahnfreund ein echtes Highlight.
Der Nachmittag des zweiten Tages war einer Exkursion zur Baustelle des Pumpspeicherkraftwerks „Limmern“ gewidmet. Auf der Hinfahrt wurde ein Abstecher nach Sattel gemacht, wo die Teilnehmer mit der Kabinenbahn „Sattel – Mostelberg“ zur drittlängsten Fußgänger-Hängebrücke der Welt hochfuhren. Die 8er-Kabinenbahn von Garaventa weist eine spektakuläre Besonderheit auf: Sie ist weltweit die einzige Umlaufbahn, deren Kabinen sich während der Fahrt zweimal um ihre lotrechte Achse drehen und damit den Fahrgästen einen wunderbaren Panoramarundblick bieten.
Die Fußgänger-Hängebrücke, die im Juli 2010 eröffnet worden ist, hat sich als echter Publikumsmagnet herausgestellt. Nicht alle Touristen sind wagemutig genug, sich auf die schwankende Brücke zu wagen, die mit einer Länge von 374 m in 60 m Höhe eine tiefe Schlucht überspannt. Als Tragelemente dienen vier vollverschlossene Tragseile mit 50 mm Durchmesser, an denen der Gehweg aus Gitterrosten und die Handläufe recht elastisch aufgehängt sind.
Die Hauptattraktion der Exkursion war der Besuch der 40-t-Schwerlastbahn von Garaventa (1. Teilstrecke) auf der Kraftwerksbaustelle „Limmern“, die wir in der ISR-Ausgabe 3/2010, Seite 18, bereits ausführlich beschrieben haben. Obwohl die Teilnehmer aus Zeitgründen nur die Talstation dieser Anlage mit Seilen von Fatzer (Tragseildurchmesser 90 mm) besichtigen konnten, beeindruckten die gigantischen Abmessungen der Bauteile die Tagungsteilnehmer. Als Projektleiter beim Bau und Betrieb dieser Seilbahn ist Arno Inauen, Geschäftsführer der Inauen-Schätti AG, tätig. Besonders interessant ist das Fahrzeug, das über drei gekoppelte Laufwerke und Gehänge verfügt, von denen die unteren zwei dem Materialtransport mit verschiedenen Lastaufnahmemitteln dienen und am oberen eine 40er-Personenkabine hängt.
Den Abschluss der Exkursion bildete ein Werksbesuch bei Garaventa in Goldau, bei dem interessante Bauteile von Pendel- und Standseilbahnen aus der Nähe betrachtet werden konnten.
Keine ITTAB ohne abschließendes Gala-Dinner! Auch das gehört mittlerweile zur Tradition dieser jährlichen Veranstaltung. Als Ort dafür hatte man das Drehrestaurant am Stanserhorn ausgewählt. Auch hier war es nicht nur das exzellente lukullische Angebot, das die Tagungsteilnehmer begeisterte, sondern auch die seilbahntechnischen Besonderheiten, die im Konzept der Tourismus-Destination Stanserhorn einen hohen Stellenwert einnehmen. Dieses Konzept stellt eine sympathische Symbiose zwischen Tradition und Zukunftsvision dar: Einerseits wird als erste Teilstrecke auf das Stanserhorn eine alte Standseilbahn aus dem Jahr 1893 liebevoll gepflegt und erhalten, andererseits wird die bestehende Pendelbahn auf der zweiten Teilstrecke durch ein neues Seilbahnsystem ersetzt, die so genannte Cabrio-Bahn.
Das herausragende Merkmal dieser Anlage ist das doppelstöckige 60er-Fahrzeug, dessen obere Etage als offene Terrasse für 30 Personen ausgeführt ist. Die gesamte Kabine ist in einem Rahmen gelagert, der mit Laufwerken auf zwei Tragseilen mit breiter Spur läuft. Die Zugseilführung entspricht der des Funifor-Systems, die erforderlichen Zugseilscheiben am Fahrzeug sind auf der Bergseite des Rahmens angeordnet, die Kabine wird automatisch horizontiert. Die Betriebsaufnahme der neuen Cabrio-Bahn ist für Mai 2012 geplant.
Ausblick
Die 60. ITTAB wird mit Sicherheit allen Teilnehmern als sehr gelungene Veranstaltung in Erinnerung bleiben. Bei allen Highlights des Rahmenprogramms wurde nicht darauf vergessen, dass die wesentliche Zielsetzung der ITTAB, nämlich die permanente Erhöhung der Sicherheit beim Personentransport mit Seilbahnen, bei der Organisation im Mittelpunkt der Anstrengungen des jeweiligen Veranstaltungslandes stehen soll. Im nächsten Jahr wird Österreich das Land sein, das die 61. ITTAB in St. Anton am Arlberg ausrichten wird; für 2012 hat sich Norwegen – selbstverständlich unter Vorbehalt der Zustimmung der entscheidungsbefugten Stellen – bereit erklärt, in zwei Jahren Veranstaltungsland der ITTAB zu sein.
Josef Nejez