Das einst von Weinbergen umgegebene Dorf Camorino ist heute ein Teil der Agglomeration von Bellinzona. Die befindet sich südöstlich über dem Dorf. Im Jahr 1825 entstand hier eine Gemeinschaft von Grundinhabern, die sich auf der gemeinsamen Nutzung des Gebietes einigten und die Alpe Croveggia wurde etwa bis Ende des 19. Jahrhunderts von Schäfern, Holzfällern und auch von Holzkohleproduzenten bewirtschaftet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog es die jüngere Generation vor in Städten zu leben, und die Alpe Croveggia begann – wie zahlreiche andere Tessiner Almen – zunehmend zu verwildern. In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren wurde die Initiative ergriffen, die Almen wieder zu bewirtschaften und die vernachlässigten Almhütten auszubessern. Im Jahr 1960 wurde auf die Alpe Croveggia eine mit Benzinmotor angetriebene einfache Materialseilbahn errichtet, die in 20 Minuten 100 kg Last auf den Berg hinauf befördern konnte. Gegen Errichtung einer größeren Bahn mit Personenbeförderung erhob sich jedoch erheblicher Widerstand, auch die Gemeinde war damals dagegen.
Kompromisslösung gefunden
Aufgrund der Streitigkeiten über die Linienführung und Größe der Seilbahn wurde der Bau erst im Jahr 1966 vom Kanton als Kleinseilbahn genehmigt. Das Projekt war gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben verkleinert und die Trasse wurde nicht bis zum Pian Grande, sondern nur 200 m tiefer zur Alpe Croveggia geführt. Ebenfalls wurde nur noch eine einspurige Anlage mit einer Kabine für vier Personen oder 400 kg Last in Auftrag gegeben.
Mit der Herstellung des mechanischen Teils wurde die Firma von Guido Meyer beauftragt, die sich mit dem Bau von Metallkonstruktionen und Kleinseilbahnen befasste. Das Projekt erarbeitete Ingenieur Richard Coray junior, Sohn des bekannten gleichnamigen Brückenkonstrukteurs der Rhätischen Bahn aus Chur. Coray junior arbeitete seit 1953 bis in die 1980er-Jahre mit Guido Meyer zusammen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstanden verschiedene Klein-Pendelbahnen für Alp-Erschließungen, Kraftwerksbahnen und Materialseilbahnen sowie einige Schräglifte.
Technisch einzigartig
Die Ausführung dieser einspurigen Pendelbahn ist bei einer Personenseilbahn bis heute in der Schweiz und wohl auch in ganz Europa einzigartig. Das Förderseil bildet eine Schleife, wobei der rücklaufende Seilstrang des Förderseils als Tragseil genutzt wird. Das Laufwerk in Form eines umgekehrten Buchstabens „T“ ist mit dem Förderseil mittels zwei Klemmköpfen verbunden. 1,5 m oberhalb der Förderseilbefestigung sind im Laufwerk zwei Seilrollen, die auf dem rücklaufenden Seilstrang laufen. Die Kabine ist unter dem Laufwerk auf einem kurzen Gehänge befestigt.
Dank dieser genialen Idee, das gleiche Seil einerseits zum Tragen und anderseits zum Tragen und Ziehen zu nutzen, war es möglich, die Anlage mit einer Länge von fast 1,5 km stützenlos und ohne Spanneinrichtung auszuführen.
Die Kabine, ursprünglich nur ein Korb mit einer Grundrissfläche von 1,6 x 1,1 m, wurde später durch Plexiglas erweitert, um die Fahrgäste von der Witterung zu schützen. Mit einem Funkgerät kann man von der Kabine aus mit der Talstation kommunizieren.
Die Talstation ist als schlankes Gebäude ausgeführt, in dem der Antrieb und die Steuerung angebracht sind. Die Antriebseinheit mit einem 22-kW-Drehstrommotor und Getriebe ist mit einer Doppelkette direkt mit der Antriebsscheibe verbunden. Die Bahn wird von der Talstation aus handgesteuert. Als Endschalter ist auf dem Förderseil eine Stahlhülse befestigt, die sogenannte Olive, die durch den Kontakt mit einer Schiene in der Nähe der Talstation einen Kurzschluss des isolierten Förderseils mit der Bahnkonstruktion bewirkt und somit die Abschaltung der Bahn auslöst.
Während der Fahrt hat man einen Ausblick auf die Magadino-Ebene und den Lago Maggiore. Die stützenlose Trasse führt entlang des Valle Grande zur Bergstation größtenteils durch das bewaldete Gebiet der aufgelassenen und verwilderten Almen.
Die Bergstation besteht aus einer freistehenden offenen Fachwerkkonstruktion, welche die Umlenkscheibe trägt. Gegen den Berg ist die Station mit zwei Spannseilen abgespannt. Der Zugang zur Kabine erfolgt über einen langen und schlanken Steg. Die Bergstation ist mit einer Kamera fernüberwacht, ein Telefongerät am Bahnsteig ermöglicht die Sprachverbindung mit der Talstation.
Kuriose Bahn abseits des Massentourismus
Diese entzückende Kleinseilbahn ist von März bis November in Betrieb und dient nicht nur der Erschließung der heute überwiegend als Wochenendhäuschen und Rustico*) genutzten Almhütten, sie ist auch Ausgangspunkt für leichte Waldspaziergänge oder anspruchsvolle Bergwanderungen. Die Bahn ist bis heute praktisch im Originalzustand in Betrieb, nach dem Jahr 2024 müssen jedoch einige technische Auflagen erfüllt werden. Dank der kuriosen Technik, der einfachen Mechanik sowie dem für eine Schweizer Kleinseilbahn mit kantonaler Betriebsbewilligung sehr langen stützenlosen Spannfeld ist die Seilbahn Monti di Croveggia ein ganz besonderer Exot in der Seilbahnlandschaft Schweiz. Sie ist zum Zeugen für die Revitalisierungsversuche alter Tessiner Almen geworden, welche bis heute andauern. Die Seilbahn wurde zurecht in die Liste des Schweizer Seilbahninventars des Bundesamtes für Kultur aufgenommen.
*) Rustico ist ein für das Tessin typisches, ursprünglich für landwirtschaftliche Zwecke genutztes Haus aus Stein mit einem Dach aus Steinplatten, mit Holzbalken und Holzböden. Heute ist es der Inbegriff für innen teils luxuriös ausgestattete Ferienwohnungen.