Vor kurzer Zeit ist eine komplett neue Standseilbahn in Betrieb gegangen, die besondere Beachtung verdient.
Normalerweise hat heute jede Standseilbahn einen eigenen Gleiskörper, auf dem sie im Wesentlichen ungestört von äußeren Verkehrseinflüssen fahren kann. Dies allein schon deshalb, weil ein seilgezogenes Fahrzeug auf Grund des bewegenden Zugseiles und der entlang der Trasse befindlichen Zugseilrollen ein Queren der Schienentrasse nicht ermöglicht.
Umso ungewohnter ist die Idee, eine Standseilbahn ganz einfach in einer Stadt als öffentliches Transportmittel auf bestehenden Straßen, mitten in einer Altstadt, zusammen mit dem Auto- und Fußgängerverkehr fahren zu lassen, dazu noch mit der Auflage, dass sich an den bestehenden Straßen, Kreuzungen und Häusern nichts Wesentliches ändern darf.
Doch Fachleute wissen, dass es eine solche Anlage bereits seit über 100 Jahren gibt, nämlich die Cable Car in San Francisco in den USA. Aber nicht nur diese weltbekannte Anlage in Amerika, sondern auch in Lissabon in Portugal gibt es seilgezogene Straßenbahnen, die nach wie vor in Betrieb sind.
Straßen-Standseilbahn in Viseu
Also, was in San Francisco oder auch in Lissabon möglich ist, muss woanders auch möglich sein, dachte man. Und so entstand eine neue Straßen-Standseilbahn im Zentrum der gar nicht so kleinen Provinzhauptstadt Viseu in Portugal, im teils mittelalterlichen Stadtzentrum.
Für ein seilgezogenes Transportsystem sprachen vor allem:
- die umweltfreundliche Art des Systems (kein Antrieb in den Fahrzeugen),
- die stark unterschiedlichen Neigungen der Fahrstrecke.
Natürlich ist diese neue Anlage auf Basis modernster Technik errichtet worden, mit allen möglichen Überwachungen und automatischen Einrichtungen.
Im Wesentlichen stellten sich drei Problemkreise, die zu lösen waren:
- Die Seilführung mit Seil und Seilrollen muss von der Straße weg unter die Erde, damit ein ebenes, mit Autos befahrbares Niveau entsteht;
- Die Strecke weist nicht nur konvexe, sondern auch konkave Vertikalkurven auf, wobei es an einer Stelle praktisch einen Knick der Trasse steil nach oben gibt;
- Das Zusammenspiel zwischen den Fahrzeugen der Standseilbahn und dem Autoverkehr inklusive Kreuzungen mit Querverkehr muss so organisiert werden, dass kein Sicherheitsproblem entsteht und der Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer zufriedenstellend abgewickelt werden kann.
Die ersten beiden Probleme sind rein technischer Natur und konnten mittels guter, der Situation angepasster Ideen gelöst werden.
Der tiefste Punkt der Trasse befindet sich nicht an einer der beiden Endstationen, sondern dazwischen. Daher mussten an einigen Stellen der Trasse Niederhalterollen vorgesehen werden, und dies alles unterhalb des sichtbaren Straßenniveaus.
Bei den sonst üblichen Standseilbahnen befindet sich das Zugseil im Normalbetrieb etwa 3 cm unterhalb der Schienenoberkante. Bei dieser Anlage war es nun wegen der tragenden Mindeststärke der Straßenfahrbahn und der erforderlichen Niederhalterollen notwendig, das Zugseil etwa 35 cm unterhalb der Schienenoberkante laufen zu lassen. Die Seilanhängung muss also vom Wagen tief hinuntergreifen.
Da die Zugseilanhängung vom Fahrzeug aus weit unter das Schienen- bzw. Straßenniveau greifen muss, denn dort befindet sich das Zugseil, teilweise sogar unterhalb von Niederhalterollen für das Seil, musste ein Längsspalt in der Straße vorgesehen werden. Es war notwendig, diesen Längsspalt möglichst schmal zu halten, damit auch Autos sicher darüber fahren können.
Das Zugseil ist natürlich elektrisch isoliert geführt, und im Seilkanal unterhalb des Straßenniveuas befinden sich Überwachungseinrichtungen, die im Falle einer Seilentgleisung die Anlage sofort stillsetzen.
In Streckenmitte wurde eine Abtsche Ausweiche vorgesehen, die auf Grund der örtlichen Gegebenheiten, vor allem der beengten Verhältnisse und der bestehenden Häuserzeilen wegen, asymmetrisch auszuführen war. Auch der Weichenbereich konnte so gestaltet werden, dass ein mit der Fahrstraße gleiches Niveau erreicht wurde.
Um Reparaturarbeiten an der Seilführung entlang der Strecke vornehmen zu können, ist die Naturstein-Pflasterung (war wegen des Altstadtbereichs erforderlich) zwischen den Schienen in eigenen tragfähigen Boxen platziert, die bei Bedarf hochgehoben und entfernt werden können.
Gemeinsamer Verkehrsbereich
Für den Problemkreis Zusammenspiel mit dem Autoverkehr wurden Sicherheitsanalysen erstellt, mögliche Gefahrensituationen analysiert und daraus resultierend entsprechende Maßnahmen getroffen.
So wurde z.B. in den Kreuzungsbereichen mit Querstraßen eine Ampelregelung vorgesehen, die den Auto-Querverkehr kurz anhält, wenn die Fahrzeuge der Standseilbahn queren. In nicht so stark mit Autos frequentierten Bereichen können Autos und Standseilbahnwagen die gleiche Fahrbahn verwenden, die Autos somit auch auf den Schienen fahren. In anderen Bereichen mit besonders viel Autoverkehr wird eine Trennung vorgesehen, wobei aber eine Zufahrtmöglichkeit für besondere Zwecke auf der Fahrbahn der Standseilbahn durchaus möglich ist.
Die Strecke ist auch mittels Video überwacht, damit allfällige gefährliche Situationen rasch erfasst werden können. Eine Audioanlage sorgt für eine zusätzliche Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den anderen Verkehrsteilnehmern.
Die Fahrtrasse der Standseilbahn wurde zur besseren und rascheren Erkennung farblich markiert. In der Nacht sorgen im Straßenboden eingelassene Lichter links und rechts der Schienen für eine deutliche Markierung zur besseren Erkennung für die Autofahrer.
Die Fahrzeuge der Standseilbahn sind mit besonderen Überwachungseinrichtungen wie z.B. einem Entfernungsradar ausgestattet, die bei Erkennen eines Autos oder Fußgängers innerhalb eines Mindestabstandes vor dem Standseilbahnwagen eine automatische Bremsung der Standseilbahn bewirken.
Die Anlage ist am Tag und auch in der Nacht als öffentliches städtisches Verkehrsmittel in Betrieb. Das erste Betriebsjahr konnte ohne besondere Vorkommnisse und Probleme abgewickelt werden, und die Standseilbahn gehört mittlerweile zum Stadtbild dazu.
Walter Sehnal
TECHNISCHE DATEN
Straßen-Standseilbahn in Viseu, Portugal (2-Wagen-Pendelbetrieb mit Ausweiche)
Streckenlänge 400 m
Höhenunterschied 35 m
Min. Streckenneigung -1 %
Max. Streckenneigung 19 %
Spurweite 1 m
Zugseildurchmesser 28 mm
Antriebsleistung 90 kW
Wagenfassungsraum 50 + 1 Pers.
Fahrgeschwindigkeit 3m/s
Förderleistung 700 P/h
Baujahr 2009
Beteiligte Firmen:
Seilbahntechnik: Efacec Liftech, Porto
Elektrotechnik: Efacec Liftech, Porto
Wagenkarosserie: Gangloff
Zugseil: Fatzer