Die Kampenwandbahn bringt mit ihren bunten 4er-Kabinen die Besucher schon seit über 60 Jahren in die imposante Bergwelt.
Foto: Roman Gric
Bahnen

AUSSERGEWÖHNLICHE SEILBAHNEN

Die Kampenwandbahn

Die im Jahr 1957 als Prototypanlage eröffnete Kampenwandbahn ist in vielerlei Hinsicht eine wegweisende Anlage. Erstmalig mit Klemmkraftprüfung am laufenden Zugseil, erstmalig mit eigenem „Abschleppdienst“ und erstmalig mit Polyamid-Einlageringen in den Laufrollen.

von: Roman Gric

Nach dem 2. Weltkrieg leisten sich mit dem steigenden Wohlstand immer mehr Menschen in Deutschland Erholung in der ruhigen Natur. So wurde schon im Jahr 1951 in Rottach-Egern am Tegernsee die Zweiseilumlaufbahn (ZUB) der Firma Pohlig auf den Wallberg in Betrieb genommen, und neue Seilbahnen wurden auch an anderen Orten in Bayern gebaut. Georg Bauer, der damalige Bürgermeister der 1.200-Seelen-Gemeinde Hohenaschau zwischen dem Chiemsee und den Chiemgauer Alpen war derart von der Schönheit und Attraktivität des Gebietes um die markante Kampenwand überzeugt gewesen, dass er auch hier eine Seilbahn bauen wollte: „Eine Bergbahn muss her, und wenn´s nur ein Lift werd!“ Ein sehr mutiges Vorhaben in einer Gemeinde mit einem jährlichen Haushalt von ganzen 80.000 Deutschen Mark.

Eine Gesellschaft, die in Altenahr im nördlichen Rheinland-Pfalz eine gut frequentierte Sesselbahn betrieb, zeigte sich für den Bau einer Seilbahn in Hohenaschau bereit und finanzierte die ersten Projektpläne und Vermessungen. Ende 1954 kam sie zum Schluss, dass die Investition für die Bahn im Umfang von über eine Million DM wirtschaftlich nicht refinanzierbar war.

Dank eines Zufalls hatte ein neuer Gemeindebürger Verbindungen zur rheinischen Großindustrie und konnte bald mögliche Interessenten am Bau einer Seilbahn in Hohenaschau finden – die Westfällische Union AG in Hamm, die auch Seilherstellung in ihrem Portfolio hatte. Ihre Vorstände griffen die Idee des Seilbahnbaus sofort auf und gründeten mit ihren zwei Partnern, dem im Personenseilbahnbau relativ neuen Hersteller Hasenclever AG, Düsseldorf und der im Seilbahnbau erfahrenen Baufirma Hochtief AG, München, zu dritt die Kampenwandseilbahn GmbH München. Nur der Leistungswille und die Begeisterung aller Beteiligten ermöglichten den Bau der damals modernsten Zweiseilumlaufbahn auf das Hochplateau rund 200 m unterhalb des eigentlichen Gipfels der Kampenwand in der relativ kurzen Bauzeit von knapp zwei Jahren.

Die einzige ZUB von Hasenclever

Die Firma Hasenclever AG, Düsseldorf, hatte schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts Erfahrungen mit der Herstellung von Seilbahnen für den Untertagebetrieb im Kohlen- und Kali-Bergbau. In den Bereich des Personenseilbahnbaus stieg die Firma in den 1950er Jahren mit dem Bau mehrerer fixgeklemmter Doppelsesselbahnen in Westdeutschland ein, die für ihre robuste Konstruktion bekannt sind und Jahrzehnte lang im Einsatz waren. Auch in Belgien gab es Sesselbahnen und in Norwegen eine Pendelbahn von diesem Hersteller. Die von Hasenclever im Jahr 1954 eröffneten Ausflugs-Doppelsesselbahnen Vierseenblick in Boppard und die Hausbergbahn in Bad Lauterberg sind bis heute in nahezu unverändertem Zustand in Betrieb. Im Vergleich zu den damals etablierten deutschen Seilbahnherstellern Pohlig und Heckel war Hasenclever jedoch ein Neuling auf diesem Gebiet. Für den Bau ihrer einzigen kuppelbaren Seilbahn, der Kampenwandbahn, betrat Hasenclever Neuland, ohne dabei eine bewährte Entwicklung in Lizenz zu nutzen.

Seilbahntechnik mit Extras

Die Kampenwandbahn wurde als Zweiseilumlaufbahn mit 4er-Kabinen gebaut. Sie führt bei einer Streckenlänge von 2.480 m aus 622 m Talhöhe über sechs Stützen und über ein Kuppengerüst auf 1.464 m Meereshöhe zum Sattel zwischen der Kampenwand (1.669 m) und der Scheibenwand (1.598 m). Wie bei allen damaligen ZUB wird auch das Zugseil der Kampenwandbahn auf den Trassenstützen in tiefer Zugseilablage geführt (die Zugseiltragrollen sind unterhalb des Lichtraumprofils der Kabinen angebracht), nur auf dem Kuppengerüst vor der Bergstation verläuft das Zugseil zwischen dem Laufwerk und dem Kabinendach.

Alle zum Antrieb gehörigen Anlagen sind in der Talstation untergebracht – der Hauptantrieb, der Notantrieb, die Notstromanlage und der Antrieb der Rettungsbahn, selbstverständlich mit sämtlichen elektrischen Einrichtungen. Ebenso wurden die Spannvorrichtungen für alle Seile, also für die Tragseile, für das Zugseil und für das Hilfsseil (Bergungsseil), in der Talstation situiert. In der Bergstation wird das Zugseil umgelenkt und beide Tragseile sind trommelverankert.

Die Laufwerke mit sechs Laufrollen sind mit je zwei Klemmapparaten ausgerüstet. In jedem Klemmapparat betätigt ein Tellerfederpaket eine Zugseilklemme. Erstmalig erfolgt bei dieser Bahn in beiden Stationen nach abgeschlossenem Kuppelvorgang während der Fahrt durch die Kuppelstelle eine elektrische Klemmkraftprüfung. Die Kabinen wurden durch Kettenförderer auf die Geschwindigkeit des Zugseiles beschleunigt und an dieses angekuppelt. Unmittelbar nach dem Kuppelvorgang wird der Kettenförderer elektrisch gebremst und der Bremswiderstand wird elektrisch gemessen. Unterschreitet die Klemmkraft den eingestellten Mindestwert, so schaltet sich die Bahn automatisch ab.

Da die Laufwerke nicht kurvengängig sind, erforderte diese Bauweise eine Speziallösung für den Stationsumlauf. Die Wagen wurden im Stationsumlauf automatisch mit zwei Schwenkarmen um je 90º gedreht. Ein dritter Schwenkarm in der Talstation diente als Weiche zum Abstellgleis und in die Werkstätte.

Heute ist die Bewegung der Kabinen in den Stationen mit Pneuförderern automatisiert. Das Stationspersonal muss nach wie vor die Tür der nostalgischen Kabinen öffnen und schließen und ist dabei den Fahrgästen beim Ein- und Ausstieg behilflich. Die Kabinen Nr. 1 bis 27 sind Originalausführungen aus dem Jahr 1957, die Nummern 28 bis 47 wurden im Jahr 1997 dem Original nachgebaut.

Die Bahntrasse wurde bei einer ZUB zum ersten Mal mit Spannfeldern von 800 und 1.000 m und mit einem Bodenabstand von bis zu 90 m gebaut. Dies macht das Abseilen in einigen Abschnitten praktisch unmöglich. Deswegen wurde die Bahn für den Fall einer Bergung mit einem eigenen „Abschleppdienst“ ausgerüstet. Auf der ganzen Strecke ist im Normalbetrieb ein Hilfsseil hoch über dem Trag- und Zugseil gespannt. Dieses Seil hat einen eigenen Antrieb und eine eigene Spanneinrichtung, mit der im Fall einer Bergung das Hilfsseil zu den normalen Betriebsseilen heruntergelassen wird. Ein Hilfswagen wird an das Hilfsseil gekuppelt und fährt auf dem Tragseil mit Bergungsmannschaft zur nächsten Kabine. Die Retter fixieren die Kabine mit einer Spezialklemme am Hilfsseil und lösen die Kabine vom Zugseil. Beide Fahrzeuge werden dann mit dem Hilfsseil in die Station zurückgezogen. Auf diese Weise kann Kabine für Kabine eingeholt werden.

Laufwerkrollen mit Polyamid-Einlageringen

Ursprünglich wurden an der Kampenwandbahn Aluminiumrollen verwendet, die mit ihrer „glockenartigen“ Resonanz starke Geräuschbelästigung verursachten. Mit der Suche nach einem geräuscharmen und tragseilschonenden Material für die Rollenfutterungen begann die Kampenwandbahn schon in ihrem ersten Betriebsjahr. Nach umfangreichen Dauerversuchen im Forschungsinstitut für Fördertechnik der Technischen Hochschule Stuttgart und nach Betriebsversuchen an der Kampenwandbahn wurde die ganze Seilbahn auf Polyamid-gefütterte Laufwerksrollen umgestellt. Diese Umstellung brachte anfangs auch neue schmiertechnische Probleme mit sich. Die bisher üblichen bituminösen Schmierstoffe hatten eine hohe Haftfähigkeit auf dem neuen Werkstoff und bildeten auf den Rollenfutterungen Unregelmäßigkeiten. Erst nach Umstellung der Tragseilschmierung auf ein dünnflüssiges Öl sind die Rollenfutterungen aus Polyamid im Durchschnitt über 35.000 km einwandfrei gelaufen. Außer den Laufwerksrollen wurden auch Führungsrollen und Kupplungsdruckrollen aus Polyamid mit gutem Erfolg erprobt und verwendet. Die Kampenwandbahn hat technisches Neuland erfolgreich betreten und der Verwendung von Kunststoffen im Seilbahnbau den Weg bereitet.

 

Die Kampenwandbahn im Laufe der Zeit

Die am 8. Juni 1957 eröffnete Kampenwandbahn wurde ursprünglich nur für den Sommerbetrieb konzipiert. Doch schon im ersten Winter nach der Eröffnung wurde die Förderleistung der Bahn durch Hinzufügen zusätzlicher Kabinen von ursprünglich 180 P/h auf 300 P/h erhöht und schrittweise auf Wintersportbetrieb vorbereitet. Für den Skibetrieb wurde schon im Jahr 1960 der Roßleiten-Sessellift eröffnet, im Jahr 1968 folgte der Schlepplift Steinling und schließlich im Jahr 1977 die fixe Doppelsesselbahn Kaltwasser.

Auch mehr als sechs Jahrzehnte nach der Eröffnung erfreut sich die Seilbahn in Aschau immer noch größter Beliebtheit. Die Bergstation ist ein idealer Ausgangspunkt für zahlreiche Wanderungen. Eine Besonderheit auf der Kampenwand ist der fast ebene Panoramaweg mit herrlichem Blick auf das Alpenvorland und den Chiemsee mit seinen Inseln. Aber auch Kletterfans, Mountainbiker und Gleitschirmflieger treffen an der Kampenwand auf beste Bedingungen. Über 100 gut abgesicherte Kletterrouten und zahlreiche Auf- und Abfahrtsvarianten mit dem Bike sorgen für reichliche Abwechslung.

Ersatz durch neue Seilbahn

Den „Retrostyle“ der Bahn mit den kleinen gelben, blauen und roten nostalgischen Kabinen finden viele Besucher witzig und schick. Doch die Anlage nähert sich trotz der sorgfältigen Pflege durch den Betreiber dem Ende ihrer Lebensdauer. Die Betreiberfamilie Zbil will ihre Bahn zukunftsfähig und barrierefrei ausbauen, damit kommende Generationen den Betrieb weiterführen können. Geplant sind eine Erneuerung der Seilbahntechnik mit neuen Stützen wie auch neuen Stationsbauwerken. Die Seilbahn soll künftig mit Achterkabinen bestückt sein. Das ist auch mit einer Erhöhung der Förderleistung verbunden: Statt bisher 450 P/h könnten dann 1.550 P/h auf den Berg gebracht werden. Der Betreiber erwartet 10 bis 15 % mehr Gäste. Die höhere Förderleistung braucht man hauptsächlich, um Wartezeiten im Tal und am Abend am Berg zu vermeiden. Eine barrierefreie Kampenwandbahn komme zudem der Kinderklinik Aschau und Senioren, die auf einen Rollator angewiesen sind, zugute.

Die Gemeinde Aschau hatte ihre Zustimmung zum Bahnneubau bereits 2017 erteilt. Im neuen Aschauer Gemeinderat regt sich aber Widerstand. Dabei gehe es vor allem um den Verkehr, da Aschau bereits jetzt stark unter dem Ausflugs- und Durchgangsverkehr leide. Der Betreiber, der gleichzeitig Inhaber der Bahn ist, hat bestätigt, dass die neue Bahn mit einer geplanten Bauzeit von 14 Monaten so schonend wie möglich gebaut werde. Eine Beschneiung des kleinen Skigebietes auf der Kampenwand wurde nicht beantragt.

Technische Daten

Zweiseilumlaufbahn Kampenwandbahn, Aschau

Seehöhe Talstation622 m
Seehöhe Bergstation1.464 m
Schräge Länge    2.481 m
Höhenunterschied  842 m
Stützenanzahl 6 + 1 Kuppengerüst
Tragseildurchmesser40 mm
Zugseildurchmesser 26 mm
Hilfsseildurchmesser 22 mm
Zugseilspanneinrichtung Tal
TragseilspanneinrichtungTal
HilfsseilspanneinrichtungTal
Hauptantrieb Tal
Motorleistung 240 kW
Kabinenfassungsraum 4 Pers.
Kabinenanzahl     48
Fahrgeschwindigkeit 3,0 m/s
Fahrzeit14 min
Förderleistung450 P/h
Hersteller und Baujahr Hasenclever AG, Düsseldorf, 1957
BauarbeitenHochtief AG, München

 


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