Städtische Seilbahnen

Der „People Mover“ von Venedig

Seit dem Frühjahr 2010 ist in Venedig ein Cable Liner Shuttle von DCC (Doppelmayr Cable Car) in Betrieb.

An einer von Doppelmayr Mitte Oktober veranstalteten Pressefahrt zu dem neuen Nahverkehrsmittel in der Lagunenstadt haben seitens der ISR Prof. Dr. Josef Nejez (fachtechnischer Redakteur) und Dr. Maria Nejez (Expertin für Landschaftsplanung und Umweltfragen) teilgenommen. Dass es in Venedig eine neue APM-Anlage gibt, ist den ISR-Lesern durch frühere Artikel bekannt; ausführlicher berichten können wir erst jetzt dank einer Einladung zu einer Vorstellung der Anlage vor Ort in Venedig.

Vor der eigentlichen Besichtigung der Bahn berichtete Thomas Pichler, Vertriebsleiter der Doppelmayr Italia GmbH, anhand einer sehr informativen Powerpoint-Präsentation über die Entstehungsgeschichte, den Bauablauf, die Technik und den Betrieb des neuen „People Mover“, wie das Cable Liner Shuttle offiziell genannt wird. „Gut Ding braucht Weile“ könnte man sagen, wenn man sich die Entstehungsgeschichte des neuen Nahverkehrsmittels von der Insel Tronchetto über die Insel Marittima zum Piazzale Roma anschaut. Bereits 1997 waren der damalige Geschäftsführer und der Technischer Direktor von DCC in Venedig, um mit dem damaligen Bürgermeister die Möglichkeiten zur Entlastung der schwierigen Verkehrssituation in Venedig zu diskutieren.

Vor allem galt es, die mit Autos anreisenden Touristen rasch, preiswert und auf attraktivem Wege von den Parkhäusern auf der Insel Tronchetto in die Altstadt zu befördern. Dazu kamen weitreichende städtebauliche Ausbaupläne im Bereich der Inseln Tronchetto und Marittima, in deren Rahmen die Errichtung einer leistungsfähigen Verkehrsverbindung eine absolute Notwendigkeit darstellte. Jahre vergingen, bis ein Projekt so weit gediehen war, dass es zur Ausschreibung für ein Nahverkehrsmittel kam, in der das technische System, die Stationsstandorte, die Trasse und die Architektur bereits so vorgegeben waren, wie wir es heute antreffen.

Doppelmayr gewann schließlich – nach einer Reihe von zeitaufwändigen rechtlichen Verfahrensschritten – in einer Bietergemeinschaft mit den einheimischen Baufirmen SACAIM Spa und SICOP Srl die Ausschreibung und konnte 2007 mit dem Bau beginnen. Auftraggeber war die ASM (“Azienda Servizi Mobilità Venezia Spa“, Gesellschaft für Mobilität in Venedig), eine AG zu 100 % im Eigentum der Stadt. Diese Gesellschaft betreibt sämtliche Parkplätze in Venedig und in Mestre und war – dank der nicht gerade niedrigen Parkplatzgebühren – finanziell in der Lage, das Projekt „People Mover“ im Auftrag der Stadt umzusetzen.

Das Auftragsvolumen belief sich auf rund 20 Mio. Euro. Zahlreich waren die Auflagen, die beim Bau zu berücksichtigen waren. So musste über die sonst übliche Genehmigung der Konstruktionspläne hinaus jeder einzelne Ausführungsplan in der venezianischen Zweigstelle des Kulturministeriums zur Genehmigung vorgelegt werden, um das Stadtbild des UNESCO-Kulturerbes Venedig nicht zu beeinträchtigen. Auf Nachfrage von Frau Dr. Nejez hinsichtlich sonstiger Umweltauflagen, insbesondere bezüglich zulässiger Lärmentwicklung durch den Betrieb der Bahn, führte Thomas Pichler aus, dass derartige Auflagen bereits in der Ausschreibung enthalten gewesen seien.

So wurde für einen Bereich in der Nähe des Piazzale Roma ein Lärmgrenzwert von 72 dbA festgelegt, weil dort die Trasse an Wohnhäusern vorbeiführt. Die aufwändigen Lärmmessungen mit genau festgelegten Parametern ergaben zufrieden stellende Ergebnisse. Im Übrigen kann wohl kaum ein oberirdisch verkehrendes städtisches Verkehrsmittel mit der Umweltverträglichkeit eines seilbetriebenen APMs konkurrieren.

Bauablauf

Eröffnet wurde die Baustelle im August 2007 mit den Aushubarbeiten für das Stationsgebäude am Piazzale Roma. Im Juni 2008 wurden im Boden einerseits Wasserleitungsrohre aufgefunden, die in keinem Plan eingezeichnet waren, und weiters stieß man auf Überreste eines 1.500 Jahre alten Friedhofs; zwei Monate dauerte die archäologische Untersuchung der Knochenfunde. Die Baufläche wurde nach der Verlegung der Wasserleitungen erst im Mai 2009 wieder frei gegeben. Im Juli erfolgte die Genehmigung der Stationsüberdachung und in der Folge wurde die Station zügig fertig gestellt. Die Baustelle auf der Insel Tronchetto wurde im April 2008 eröffnet.

Zunächst erfolgte der Abbruch bzw. die Verlegung einer alten Markthalle, bevor im Juli mit den Arbeiten am Stationsgebäude begonnen werden konnte. Der Rohbau war dann im Jänner 2009 fertig. Der Bau der Mittelstation machte vergleichsweise wenige Probleme. Begonnen wurde im Jänner 2008, die Stationsüberdachung wurde im Februar 2009 genehmigt, der Rohbau im Juni 2009 fertig gestellt. Aufwändig gestaltete sich der Bau der 168 m langen Brücke über den „Canale Columbuola“.

Die freie Spannweite über dem Kanal beträgt 84 m. Das Brückentragwerk wurde im September 2009 auf dem Gelände der Mittelstation in vier Teilstücken zusammengebaut und dann im Oktober 2009 mittels eines Spezialfahrzeugs, eines Floßes und mit Kränen in die richtige Position gebracht und verschweißt. Die gegenüber einer Flanschverschraubung aufwändigere Schweißverbindung war eine Forderung des Kulturministeriums, das die optisch zweifellos weniger schöne Schraubverbindung nicht wollte. Nach Fertigstellung der Rohbauten und der Streckentragwerke ging die seilbahntechnische Montage zügig voran. Im November 2009 erfolgten der Seilzug und der Spleiß des Fatzer-Performa-Zugseiles mit 42 mm Durchmesser, danach die üblichen Schritte bis zur betriebsfertigen Anlage.

Architektur

Die Planung stammt vom Architekturbüro „Studio Cocco associato“. Trient. Die Stationsgebäude sind im Erdgeschoß in Massivbauweise ausgeführt, die Bahnsteigebenen im Obergeschoß werden durch elegante Stahl- Fachwerkstrukturen mit Glaselementen überdacht. Ein architektonisches und konstruktives Prachtstück ist die Brücke über den „Canale Columbuola“. Der Architekt Francesco Cocco ließ sich beim Design des Tragwerks von der Gestalt einer Möwe inspirieren. Die Querrippen mit verlängerten Spitzen erinnern an die Flügel, die Linienführung des Untergurts an den Körper der Möwe. Die Form des Untergurts ist darüber hinaus auch dem Verlauf des Biegemoments gut angepasst und stellt daher auch statisch eine hervorragende Lösung dar.

Der „People Mover“ von Venedig (Foto: Doppelmayr)

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