Im Rahmen des Projektes Alpine Netze der Verbundenheit: Urner Seilbahnen als Aktanten und Aktionsräume stehen alpine Kleinseilbahnen und deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung im Schächental im Kanton Uri im Vordergrund. Die historische und kulturwissenschaftliche Perspektive wird durch eine außergewöhnliche musikexperimentelle Fallstudie ergänzt: Dabei nimmt Michel Roth, Professor an der Hochschule für Musik in Basel, die Töne der Seilbahnen mit speziellen Mikrofonen auf, die an der Seilverankerung fixiert sind.
Seilbahnen als Saiteninstrument
Abhängig von Wind und Temperatur, aber auch vom Lärm landwirtschaftlicher Maschinen, machen die Seile unterschiedliche Geräusche. „Die tonnenschweren Metallteile reagieren sehr sensibel auf ihre Umwelt. Manchmal ändert sich der Klang innerhalb weniger Minuten, zum Beispiel, wenn die Sonne aufgeht“, erklärt Roth. Die Seilbahnen würden dabei Saiteninstrumenten ähneln, die man immer wieder stimmen muss.
Mit seinem mobilen Tonstudio sucht Roth verschiedene Seilbahnen und Wildheuseile im ganzen Schächental auf, wo er anschließend Kabel verlegt und Mikrofone anbringt. Aber auch ohne spezielle Aufnahmegeräte seien die Klänge hörbar, etwa wenn man sein Ohr an einen Masten legt und lauscht.
Projekt „Alpine Netze der Verbundenheit“
Das Forschungsteam am Institut „Kulturen der Alpen“, dem auch Roth angehört, untersucht im Zuge des Projekts Alpine Netze der Verbundenheit: Urner Seilbahnen als Aktanten und Aktionsräume die sozialen Auswirkungen der Seilbahnen im Schächental. Neben dem geschichtlichen Aspekt, dem sich Historiker Romed Aschwanden widmet, interessiert Roth als Teil der Forschungsgruppe vor allem die Präsenz der Seilbahnen im Alltag sowie im Wandel der Jahreszeiten. Begleitet wird das Projekt auch von dem Urner Fotografen Christof Hirtler.
Seilbahn als schützenswertes Kulturgut
Durch den Strukturwandel und alternative Erschließungskonzepte (etwa Straßenbau) verändert sich die Seilbahnlandschaft im Kanton rasant, viele Kleinseilbahnen drohen zu verschwinden und werden laut Forschungsgruppe immer mehr zu einem schützenswerten Kulturgut. „Seilbahnen sind Orte der Begegnung, die Tal- und Bergstationen schaffen soziokulturelle Verbindungen“, erklärt Roth. „Es gibt kaum eine Talstation im Schächental, an der die Bewohner der umliegenden Heimwesen nicht auch ihre Gummistiefel oder Töffli (= Mofa) einlagern.“ Wenn es die Corona-Situation ermöglicht, will Roth in Zukunft auch aktiv am Seilbahnbetrieb teilnehmen und dort etwa in den Kabinen Klänge einfangen.
Hörproben zum Projekt
Bereits jetzt kann dem Sound der Seilbahnen auf einem eigenen Blog anhand von einzelnen Tonbeispielen gelauscht werden. Anhand dieser kann beispielsweise festgestellt werden, dass die Eigenschwingung der Seile morgens aktiver scheint als nachmittags. Ein anderes Beispiel ist das Dröhnen der unbenutzten Materialseilbahn Holzboden-Oberschwand: Ruhende Seilbahnseile reagieren dabei äußerst sensibel auf äußere Einflüsse. Außerdem hat Roth die Beobachtung gemacht, dass selbst bei völliger Windstille und Winterruhe der Seilbahn sich über längere Zeit entwickelte Klopfgeräusche und rhythmische Schlagfolgen aufzeichnen lassen.
Die Tonbandaufnahmen wurden inzwischen auch schon im Radio SRF gesendet und sorgen nicht nur in Musikerkreisen für positive Resonanz.