Das Institut für Jugendkulturforschung beschäftigt sich mit dem Thema der Kommunikation mit jungen Zielgruppen. Medien sind ein großer Teil jugendlicher Freizeitwelten und unverzichtbares Element zeitgenössischer Jugendkultur(en). Wenn man die heutige Jugend auch nur ansatzweise verstehen will, muss man verstehen, wie sie mit Medien umgehen. In diesem Interview mit Dr. Beate Großegger, der wissenschaftlichen Leiterin des Institutes für Jugendkulturforschung, begeben wir uns auf die Spuren junger digitaler „Media Maniacs“.
ISR: Frau Großegger, was bedeuten Medien für die heutige Jugend?
Beate Großegger: Medien bedeuten für Jugendliche erweiterte Erfahrungsräume. Sie bieten Inspiration für individuelle Identitätsarbeit, unterstützen aber auch jugendkulturelle Vergemeinschaftung. Medien, die wir aus der prä-digitalen Ära kennen, wie Fernsehen oder Radio, und Buchlektüre spielen dabei allerdings eine nachrangige Rolle. Die heutige Jugend ist eine digital geprägte Generation. Ins digitale Zeitalter hinein geboren, ist sie mit einer Fülle an digitalen Angeboten, Tools und Gadgets sozialisiert und geht spielerisch damit um. Das, was aus Erwachsenenperspektive an ihrem Medienverhalten neu, interessant und vielleicht auch ein wenig irritierend erscheint, ist aus jugendlicher Sicht ein völlig unspektakulärer Teil des persönlichen Alltags.
ISR: Also sind Online-Medien zunehmend wichtiger als offline?
Beate Großegger: Die heutige Jugend agiert nicht entweder online oder offline, sie geht „onlife“ durchs Leben. Das heißt, Online- und Offline-Erfahrungen sind nicht strikt getrennt, sondern greifen dank mobilem Internet in den allermeisten Alltagssituationen und Lebensbereichen ineinander. Ins Lebenspraktische gewendet, heißt das: Smartphone und Social Media sind für Jugendliche heute so normal wie der Kühlschrank oder auch das TV-Gerät für ihre Eltern. Und sie sind natürlich auch Fixpunkte im jugendlichen Freizeitalltag.
ISR: Warum sind Smartphone und Social Media besonders wichtig?
Beate Großegger: Social Media spielen für die Selbstdefinition Jugendlicher eine zentrale Rolle. Sie markieren sozusagen den Einstieg ins Jugendalter und mehr noch in die Jugendkultur, wobei jugendkulturelle Social-Media-Nutzung bei den jüngsten Akteurinnen und Akteuren der digitalen Jugendkultur meist noch mit dem Akzent des „digitalen Spielens“ in Erscheinung tritt. TikTok hat hier erwartungsgemäß besonderen Stellenwert. Auf populären Social-Media-Plattformen wird Jugendkulturrelevantes professionell in Szene gesetzt. Jugendkulturelle Lifestyles leben im digitalen Zeitalter von den Selbstinszenierungspraxen lifestyleorientierter Jugendlicher im Social Web. Das Spiel mit der Selbstinszenierung hatte in den Jugendkulturen zwar immer schon Bedeutung; durch die Möglichkeiten, die mobiles Internet und Social Media bieten, beobachten wir heute aber eine völlig neue Dimension: Jugendliche Selbstinszenierung ist räumlich entgrenzt, populäre Social-Media-Plattformen schaffen eine nie da gewesene Breite der öffentlichen Sichtbarkeit.
ISR: Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern beim Medienverhalten?
Beate Großegger: Ja, die gibt es allerdings. Erstens: „Musik hören“ ist die bei weiblichen Jugendlichen die beliebteste Form medialer Freizeitgestaltung, zumal Musik hören der Stimmungsregulation dient und das persönliche Stimmungsmanagement unterstützt. Das zweite Standbein der Mediennutzung weiblicher Jugendlicher ist Unterhaltung mit hohem Lean-back-Faktor. Genutzt werden bevorzugt Streamingdienste, aber auch das lineare TV, sprich: das gute alte „Patschenkino“. Gut jede Zweite findet darüber hinaus in Buchlektüre Entspannung und Unterhaltung. Und auch Social-Media-Aktivitäten nehmen im medialen Freizeitgeschehen der Mädchen und jungen Frauen einen sehr prominenten Platz ein, hier geht es um Peer-Kommunikation, aber auch um jugendkulturrelevante Lifestyles. Typisch für Burschen und junge Männer ist, dass sie Technik als Spielzeug nutzen, Stichwort: Gaming. Video- und Computerspiele bieten „Action“ und sind aus Sicht der männlichen Jugend mit hohem Freizeitwert verbunden. Bei ihr dominiert erlebnisorientiertes „lean foward“ als Nutzungsmotiv. Burschen und junge Männer zeigen eine klare Orientierung an digitalen Medienwelten. Dies machen die fünf beliebtesten medialen Freizeitaktivitäten der Burschen und jungen Männer deutlich. YouTube-Videos liegen auf Platz 1, gefolgt von Musik hören, vorzugsweise via Musik-Streaming oder auch YouTube, Serien und Filmen via Netflix, Amazon Prime Video und Co. sowie Video- und Computerspielen. Social Media belegen lediglich Platz 5 und spielen in der Medienfreizeit der männlichen Jugend demnach eine geringere Rolle als bei den Mädchen und jungen Frauen.
ISR: Thema Freizeit – mit welchen Inhalten kann man Jugendliche ansprechen?
Beate Großegger: Freizeit bedeutet für Jugendliche „Eigenzeit“. Das heißt, dass man die Zeitressourcen, über die man verfügt, selbstbestimmt für all das, was einen interessiert und Spaß macht, verwenden kann. Ihren Ort findet Freizeitgestaltung allem voran in der Gesellschaft der Altersgleichen. Jugendfreizeit ist, wenn man so will, Peerkultur, Jugendfreizeit ist auf die eine oder andere Weise vielfach zugleich aber auch Medienfreizeit. Der jugendliche Freizeitkosmos präsentiert sich mit einer bunten Vielfalt an medialen Angeboten. Jugendliche nutzen Medien und digitale Tools in ihrer Freizeit aus unterschiedlichen Motiven: zum Chillen, um Spaß zu haben und sich zu unterhalten, aus purer Gewohnheit oder in reizarmer Umgebung als akustische Kulisse, um mit ungewohnter Stille umzugehen. Und mediale Freizeitgestaltung wird von Jugendlichen häufig auch sozial eingebettet. Gemeinsames Binge-Watching oder Gaming-Sessions sind nur zwei Beispiele von vielen, die zeigen, wie gemeinsam erlebte Medienfreizeit im Jugendalter funktioniert. Zudem passiert soziale Einbettung der individuellen Medienerfahrung über soziale Anschlusskommunikation. Beispielsweise sorgen populäre Netflix-Serien für Gesprächsstoff im Freundeskreis. Das heißt, wer etwas auf sich hält, schaut die Trend-Serie nicht nur, um Unterhaltung zu finden, sondern vor allem auch, um im Peerumfeld mitreden zu können.
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