Im Jahr 1924 wurde zur ersten Winterolympiade in Chamonix die erste Pendelbahn Frankreichs eröffnet. Sie sollte bis zur Col du Midi (3.605 m ü. M.) führen, in der Zwischenkriegszeit wurden aber nur die ersten zwei Teilstrecken zum Glacier des Bossons vollendet. Im Jahr 1951 wurde diese alte Trasse verlassen, und in den Jahren 1952 bis 1955 hat der Turiner Unternehmer und Seilbahnplaner Dino Lora di Totino eine neue Pendelbahn in zwei Teilstrecken gebaut, die Chamonix mit der Nordspitze (3.778 m ü. M.) der 3.842 m hohen Aiguille du Midi verbindet.
Extreme Trassenführung über zwei Gletscher
Mit dem Bau dieser damals höchsten Personenseilbahn der Welt hat sich Dino Lora di Totino nicht abgefunden und wollte die bereits bestehenden italienischen Seilbahnen, die aus La Palud in der Nähe von Courmayeur zur Turiner Hütte führen, via Pointe Helbronner über eine Entfernung von über 5 km mit der Aiguille du Midi verbinden.
Die 270 m lange Lücke zwischen der Turiner Hütte und dem Pointe Helbronner (3.466 m ü. M.) an der italienisch-französischen Grenze stellte seilbahntechnisch kein Problem dar und wurde mit einer Pendelbahn mit zwei 8er-Kabinen überwunden – im Gegenteil zu den restlichen fünf Kilometern vergletscherte Hochgebirgslandschaft über die beiden Gletscher Vallée Blanche und Glacier du Géant bis zur Aiguille du Midi. Als einziger natürlicher Stützpunkt auf dieser Trasse bot sich der 3.536 m hohe Felsgrat Gros Rognon an.
Geniale Lösung vor 55 Jahren
Von Anfang an war klar, dass auf dieser Trasse wegen ihrer Vergletscherung eine klassische Pendelbahn mit schweren Kabinen nicht in Frage kommt. Sie verlangte eine „leichte“ Seilbahn mit mehreren kleinen, entlang der ganzen Trasse verteilten und fix mit dem Zugseil verbundenen Kabinen. Dino Lora di Totino hat hier mit Unterstützung der Berechnungen von Prof. Vittorio Zignoli aus dem Polytechnischen Institut in Turin eine Zweiseil-Gruppenumlaufbahn mit zwölf Dreiergruppen von 4er-Kabinen entworfen. Zwischen beiden Endstationen sind die Seile dieser 5.093 m langen Seilbahn nur an zwei weiteren Stellen unterstützt. In der Winkelstation am Gros Rognon und durch die 447 m von der Station Helbronner entfernte Hängestütze. Zwischen der Winkelstation und der Hängestütze überquert die Bahn den Gletscher Glacier du Géant mit einem 2.831 m langen Spannfeld. Obwohl die Seile dort bis zu 255 m durchhängen, schweben die Kabinen immer noch ca. 300 m über dem Gletscher.
Einzigartige Hängestütze
Im Abschnitt zwischen Gros Rognon und Helbronner war die Freigängigkeit der Seilbahnseile über dem Géant-Gletscher nicht gewährleistet, ein weiterer Stützpunkt war nötig. Dieses Problem wurde mit einer zwischen den Felsausläufern von Grand Flambeau und Petit Flambeau an drei rund 315 m langen Seilen quer zur Seilbahntrasse aufgehängten Stützenkonstruktion gelöst. Zwischen den Verankerungspunkten dieser Seile besteht eine Höhendifferenz von 136 m. Die Tragseile der Hängestütze verlaufen in einem Winkel von ca. 23° schräg zur Seilbahntrasse, sodass auch die beiden Stützenköpfe versetzt nebeneinander hängen. Unter den durchfahrenden Kabinen verbleibt auch bei hoher Schneelage noch eine lichte Höhe von etwa 20 m. Diese Hängestütze ist weltweit bis heute an einer öffentlichen Personenseilbahn einzigartig.
Weitere Extras
In der Station Aiguille du Midi befindet sich die Antriebsstation und der Notantrieb. Das über 10 km lange Zugseil ist in der Station Helbronner gespannt. Auch die Umlenkscheibe in der Station Helbronner kann im Notfall zur Bergung entlang der Trasse angetrieben werden.
Zwei um 37,7 m versetzte Bauobjekte, je eines für jede Fahrbahn, bilden die Durchfahr- und Winkelstation Gros Rognon. An der Mont-Blanc-Seite beträgt die Trassenabweichung 7°48´, an der Seite des Grandes Jorasses 9°36´. Wie bei jeder zweispurigen Seilbahn mit großen Spannweiten war diese Lösung wegen der Freigängigkeit und der hierfür erforderlichen Spurweite nötig.
Auf der Trasse wurden vier Tragseile verwendet, die in den Stationen Aiguille du Midi und Helbronner mittels Tragseiltrommeln verankert und in der Winkelstation Gros Rognon gespannt sind. Die Kabinen durchfahren die Winkelstation auf Hängebahnschienen.
Die Höchstgeschwindigkeit von 7,0 m/s wird auf der Trasse mehrmals herabgesetzt. Jede Kabinengruppe macht während der Fahrt fünfmal einen Zwischenhalt, immer wenn sich in beiden Stationen die nächste Kabinengruppe befindet. Darüber hinaus wird die ganze Bahn bei jeder Überfahrt einer Kabinengruppe über die Hängestütze und durch die Winkelstation auf etwa 2,0 m/s herabgesetzt. Dies hat zu einer Fahrzeit von etwa 25 min geführt, die jedoch dank der einzigartigen Aussicht aus der Vogelperspektive auf die Gletscherlandschaft und auf das Mont-Blanc-Massiv von den Fahrgästen gerne in Kauf genommen wird.
Schrittweise Modernisierung
Die Mont-Blanc-Panoramic-Bahn steht nur im Sommer im Betrieb. Wegen den jetzigen Bauarbeiten an den neuen italienischen Seilbahnen aus Courmayeur im Bereich der Station Helbronner (siehe ISR 3/2011, S. 14–16) war hier im Jahr 2013 das Aus- bzw. Einsteigen aus Sicherheitsgründen nicht möglich (mit Ausnahme von Spezialfahrten für Bahnpersonal und Bergsteiger), die Gäste fuhren nach Durchfahrt der Station Helbronner wieder zurück. Vor etwa 15 Jahren wurde die Mont-Blanc-Panoramic-Bahn überholt und mit neuen Laufwerken und neuen Omega-III-Kabinen von CWA versehen. Diese Kabinen, die tagsüber und nachts der extremen Witterung und UV-Strahlung in den Meereshöhen von 3.500 m ausgesetzt sind, wurden heuer ohne Betriebsunterbrechung vom Hersteller generalüberholt.
Roman Gric
TECHNISCHE DATEN
Mont Blanc Panoramic (Vallée-Blanche-Bahn) Aiguille du Midi – Pointe Helbronner Zweiseil-Gruppenumlaufbahn
Seehöhe Antriebsstation Aiguille du Midi 3.778 m
Seehöhe Winkelstation Gros Rognon 3.536 m
Seehöhe Umlenk- und Spannstation Pointe Helbronner 3.466 m
Gesamte Trassenlänge 5.093 m
Höhenunterschied 312 m
Tragseildurchmesser 32 mm
Zugseildurchmesser 16 mm
Kabinenfassungsraum 4 Pers.
Kabinenanzahl (12 Gruppen zu je 3 Wagen) 36
Antriebsleistung 100 kW
Fahrzeit ca. 25 min
Max. Fahrgeschwindigkeit 7,0 m/s
Geschwindigkeit in der Winkelstation und über die Hängestütze 2,0 m/s
Stationsgeschwindigkeit 0,6 m/s
Förderleistung 220 P/h
Im Betrieb seit Weihnachten 1957
Beteiligte Firmen
Seilbahntechnik (1957) Agudio
Laufwerke, Gehänge (1995) Skirail
Kabinen (1997) CWA
Seile Tréfilerie et câblerie de Bourg (heute Tréfileurope)
Betreiber Companie du Mont-Blanc