Bahnen

150 Jahre Wintertourismus in der Schweiz

In Sankt Moritz ist vor 150 Jahren im Winter 1864/65 buchstäblich der Wintertourismus geboren worden. Die Seilbahnen in Oberengadin bilden schon seit über hundert Jahren seinen unabdingbaren Bestandteil.

Die ISR hat im folgenden Bericht die Entwicklung der wichtigsten Seilförderanlagen Oberengadins zusammengefasst.

Legendäre Wette

Als der Sommertourismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits auf Hochtouren lief, wettete der Engadiner Hotelier Johannes Badrutt im Herbst 1864 mit vier englischen Gästen, dass sie auch im Winter die milde Engadiner Sonne hemdsärmelig auf seiner Terasse genießen könnten. Falls nicht, übernehme er die Reisekosten. Falls St. Moritz ihnen im Winter aber zusage, lade er sie als seine Gäste ein, so lange zu bleiben wie sie wollten. Die mit dem kalten und feuchten Winter in England vertrauten Gäste konnten sich nicht vorstellen, dass es in den Schweizer Alpen anders sein sollte. Sie kamen dennoch zur Weihnachtszeit ins Oberengadin – und reisten erst nach Ostern braungebrannt, erholt und zufrieden wieder nach England. Sie waren die ersten Wintertouristen der Alpen und haben somit die neue Welt der weißen Winterferien entdeckt. Die Abenteuerlust der englischen und deutschen Touristen mit dem unternehmerischen Geist der Einheimischen hat die Entwicklung des jungen Wintertourismus geprägt und hat bald auch viele andere Orte und benachbarte Länder erfasst.

Veranstaltungen und Festlichkeiten

Zum Jubiläum der Geburt des Wintertourismus wird in der kommenden Wintersaison im Engadin auf vielerlei Wegen agiert, wobei nicht nur an die Pionierzeiten erinnert, sondern auch die Bedeutung des Wintertourismus und des Wintesports für die Zukunft erläutert wird. Ein lokales Organisationskomitee unter der Leitung des Gemeindevorstands von St. Moritz, Hansruedi Schaffner, hat ein umfangreiches Festivitätenprogramm vorbereitet, parallel dazu setzen Schweiz Tourismus und andere Schweizer Wintersportorte eigene Aktivitäten um. Es sind umfangreiche Medienauftritte geplant (Jubiläumsfilm, Jubiläumsmagazin, Jubiläumsbuch „Schnee, Sonne und Stars“, Medienkonferenzen usw.), vom 5. bis 7. Dezember 2014 findet in St. Moritz eine hochrangige Eröffnungsveranstaltung statt, am 17. und 18. Jänner 2015 wird in Sils ein Nostalgie-Skirennen auf der Furtschellas organisiert, am 23. Jänner 2015 findet auf dem Olympia Bob Run in St. Moritz ein Monobob-Rennen und Vorführungsfahrten mit Oldie-Schlitten statt, anlässlich der FIS Ski-Weltmeisterschaften 2015 in Vail/Beaver Creek ist das „House of Switzerland“ dem Jubiläum „150 Jahre Wintertourismus“ gewidmet, um nur einige der vorbereiteten Events zu nennen.

Entwicklung der Seilbahnen im Oberengadin

Im 19. Jahrhundert mußten die winterlichen Gäste unterwegs nach St. Moritz und in andere Oberengadiner Kurorte die Engadiner Pässe noch mit Pferdekutschen überwinden, weil die Eisenbahnverbindung in Form der legendären und seit 2008 mit ihren Teilstrecken Albula-Linie und Berninabahn auf der Liste der UNESCO-Welterbe stehenden meterspurigen Rhätischen Bahn erst im Jahr 1903 (Verbindung Thusis – St. Moritz), bzw. 1909 (Berninabahn) eröffnet wurde.

Die Entwicklung des Wintertourismus im ganzen Oberengadin wurde von den hiesigen Seilbahnen stark geprägt. Begonnen wurde jedoch mit der Erschließung der Engadiner Berge im Vergleich zu anderen Teilen der Schweiz eher später.*)

Die erste Seilbahn, die im Kanton Graubünden einen Aussichstberg erschlossen hat, ist die Standseilbahn von Punt Muragl bei Celerina zum Muottas Muragl, die Muottas-Muragl-Bahn (MMB), die nach einer zweijährigen Bauzeit am 9. August 1907 eröffnet wurde. In den Jahren 1930 und 1966 wurde die MMB modernisiert und im Jahr 1992 wurde ihre gesamte Bahntrasse mittels einer Betonabdeckung saniert, die Bahn mit einem neuen Antrieb und einer neuen Steuerung versehen und beide Wagen von Gangloff (Baujahr 1966) wurden generalüberholt. Mit einer Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit auf 5,0 m/s konnte die gegenwärtige Förderleistung von 550 P/h erreicht werden. Die Standseilbahn dient heute als Aussichtsbahn und Zubringerbahn für schöne Wanderungen mit dem schönsten Ausblick im Oberengadin sowie zum Restaurant und Romantik Hotel Muottas Muragl . Im Winter dient die Bahn auch als Ausgangspunkt der 4,2 km langen Schlittenbahn und mehrerer Winterwanderwege.

Im Jahr 1912 wurde auf einer Anhöhe über dem Dorf St. Moritz die „Chantarella, hochalpine Erholungs- und diätetische Höhen-Kuranstalt“ eröffnet. Da der Weg hinauf zu dieser Anstalt lang und beschwerlich war, hat sich der Erbauer Emil Thoma-Badrutt entschieden, die 445 m lange Standseilbahn Chantarella als Hotel-Zubringerbahn zu bauen (eröffnet im Jahr 1913). Derselbe Thoma-Badrutt wollte 15 Jahre später nicht mehr zusehen, wie sich jeden Winter seine Gäste und die Gäste von St. Moritz überhaupt auf ihren Bretteln mühsam die Hänge von Corviglia erobern. Anlässlich der ersten Olympischen Winterspiele in St. Moritz im Jahr 1928 hat er den Bau der ersten rein dem Wintersport dienenden Standseilbahn der Welt von Chantarella zur Corviglia umgesetzt. Die damaligen Erbauer würden aber diese Standseilbahn heute kaum mehr erkennen. Während die Erhöhung der Förderleistung im Zuge des ersten Umbaus im Jahr 1956 von 350 P/h auf 800 P/h durch eine erhöhte Fahrgeschwindigkeit und größere Wagen (von 63 auf 140 Personen Fassungsraum) erreicht wurde, wurde beim nächsten Umbau im Jahr 1985 zwischen beiden Stationen praktisch eine neue Bahn gebaut. Die Trasse wurde mit 226 Betonlängsträgern von jeweils 14 m Länge völlig neu gebaut, die Bahn bekam Zugskompositionen mit je zwei Wagen für 200 Personen und die Förderleistung wurde von 800 auf 2.000 P/h erhöht. Diese Bahn ist auch fast 30 Jahre nach ihrem letzten Umbau der Hauptzubringer ins Skigebiet Corviglia (siehe ISR 1/1986, S. 18). Im Jahr 1994 wurde auch die St. Moritz-Chantarella-Bahn umgebaut und der Förderleistung der oberen Standseilbahn angepasst (siehe ISR 3/1995 S. 29–31).

Am 1. Jänner 1955 wurde die erste öffentliche Großkabinen-Pendelbahn Oberengadins als Fortsetzungsbahn von Corviglia zum St. Moritzer Hausberg, dem 3.057 m hohen Piz Nair eröffnet. Diese 2.424 m lange Pendelbahn mit zwei 40er-Kabinen war zugleich die erste Schweizer Seilbahn für öffentlichen Verkehr, die die 3.000-m-Grenze erreicht hat. Schon damals wurde sie mit der Doppeltragseiltechnik und mit einem auf Seilreitern laufenden Zug- bzw. Gegenseil versehen. Diese Lösung hat geholfen, die Durchhänge des Zugseiles vor allem im 1.035 m langen Spannfeld und dadurch auch den Spannweg des Zugseilgewichtes zu verkürzen und somit die nötige Spannschachttiefe auf ein Minimum zu reduzieren. An der Stütze Nr. 2 musste wegen der Geländebeschaffenheit eine geringfügige Horizontalablenkung der Trasse umgesetzt werden. Beim Ersatz dieser Bahn im Jahr 2002 durch eine neue Pendelbahn von Garaventa bekam die Bahn 100er-Kabinen (die wegen des Platzkomforts mit nur 80 Fahrgästen besetzt werden), einen Zwischenausstieg auf der Stütze Nr. 2 direkt zum Startplatz der WM-2003-Herrenabfahrt und im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin eine Trasse ohne horizontaler Ablenkung (siehe ISR 5/2002, S. 60).

Auch bei der Erschließung der Suvretta-Hänge oberhalb von St. Moritz wurde Seilbahngeschichte geschrieben. Nur ein Jahr nach seiner Prämiere in Davos wurde in St. Moritz am 22. Dezember 1935 ein Schlepplift nach dem System Ernst Constam gebaut, weltweit eine der ersten Anlagen dieser Art. Während der „Bolgenlift“ in Davos nur 270 m lang war, hat dagegen die Trasse des Schlepplifts St. Moritz-Suvretta – Randolins mit seinen 800 m Länge und 260 m Höhenunterschied die Trassenparameter moderner Schlepplifte erreicht. Ein interessantes technisches Detail des ersten Schlepplifts von Constam war, dass die Bügel mittels zwei verschiedener Seile mit dem Förderseil verbunden waren – mit einem Schlepp- und einem Hubseil. Im Jahr 1937 folgte dann die 2. Sektion Randolins – Plateau Nair sowie ein weiterer Schlepplift, die Anlage „Chantatsch“ in der benachbarten Pontresina.

Nicht ganze zwei Jahre nach der Eröffnung der Piz-Nair-Bahn wurde am 22. Dezember 1956 in Pontresina die Diavolezza-Bahn eröffnet. Die Talstation dieser 3.575 m langen Pendelbahn mit 50er-Kabinen liegt direkt an der Rhätischen Bahn und hat mit der Erschließung der 2.978 m hohen Diavolezza eine hervorragende Aussichtsstelle mit Sicht auf die Berninagruppe mit den höchsten Gipfeln der Ostalpen, eine 10 km lange gesicherte Gletscherabfahrt über den Morteratschgletscher und natürlich auch das Diavolezza-Berghaus erschlossen. Entlang der Seilbahntrasse und am benachbarten Hang von Sass Queder entstand ein Skigebiet. Im Jahr 1980 wurde die alte Diavolezza-Bahn durch eine neue Pendelbahn von Garaventa mit 125er-Kabinen ersetzt und zwischen November 2011 und Februar 2012 wurde eine weitere Modernisierung dieser Bahn samt Bestückung mit neuen Kabinen von Gangloff mit integrierten Wasserbehältern umgesetzt.

Anfangs der 60er-Jahre konnte im Oberengadin nach vielen Jahren Planungen und Verhandlungen schließlich die höchstgelegene Seilbahn der Ostalpen von Surlej-Silvaplana über Murtèl zum Corvatsch (3.303 m) in zwei Teilstrecken gebaut und im Jahr 1963 eröffnet werden. Heute bietet das Gebiet um Corvatsch einmalige Panoramaaussichten, gepflegte Wanderwege und kulinarische Erlebnisse in nicht weniger als sechs Bergrestaurants an. Im Winter sind die Pisten am Corvatsch mit jenen am benachbarten Furtschellas verbunden. In den Jahren 1981 und 1982 wurden beide Teilstrecken der Corvatsch-Bahn modernisiert. Im Jahr 1997 folgte dann der Neubau der 1. Teilstrecke (Bahnhersteller Garaventa) und im Jahr 2008 wurde auch die 2. Teilstrecke von Leitner auf den neuesten Stand der Technik gebracht (siehe ISR 7/1997, S. 43–44 und ISR 6/2008, S. 10–11).

In Celerina wurde im Jahr 1958 zur Erschließung eines weiteren Skigebietes von der Firma Bell eine Zweiseilumlaufbahn nach dem System Wallmannsberger zum Saluver (Alp Marguns) errichtet, die im Jahr 1991 durch eine 6er-Kabinenbahn (Einseilumlaufbahn) von Von Roll ersetzt wurde (siehe ISR 2/1992, S. 23–24). Im Jahr 1995 wurde in Celerina die erste 6er-Sesselbahn der Schweiz, die Trais-Fluors-Bahn von Von Roll als Anlage mit Sesseln des Typs „Helios“ mit Wetterschutzhauben gebaut. Nach der Fusion von Von Roll mit Doppelmayr wurde keine weitere systemgleiche Bahn gebaut, wobei laut dem Betriebsleiter diese Prototypbahn nach wie vor „wie eine Schweizer Uhr“ läuft.

Zu den bedeutenden Seilbahnen Oberengadins gehören auch die Pendelbahnen Piz Lagalb (Baujahr 1963), Sils Maria – Furtschellas (1972), die „Signalbahn“ in St. Moritz Bad (1973) oder die fixe Doppelsesselbahn Pontresina – Alp Languard mit einer Baco-Paralellkurve mit 32° Ablenkung (1991). Die Geschichte aller Seilbahnen und Schlepplifte in Oberengadin würde den Umfang unseres Artikels weit überschreiten.

Seilbahnen als tragende Säule der Wirtschaft

Im ganzen Oberengadin sind heute 32 Seilbahnen und 27 Schlepplifte mit einer Gesamtförderleistung von 65.000 P/h im Betrieb. Von den 350 km Skipisten werden etwa 100 km beschneit. Im Sommer sind bei vielen Hotels und auch bei Jugendherbergen ab der 2. Nacht die Bergbahntickets inklusive.

Am 1. November 2006 hat sich mit der Fusion der St. Moritzer Bergbahnen, der Suvretta Piz Nair AG, der Celeriner Bergbahnen AG und der Diavolezza Bahnen AG das Unternehmen Engadin St. Moritz Mountains AG gebildet.

Mit einer Bilanzsumme von 90 Mio. CHF wurde das Unternehmen damit zum viertgrößten Bergbahnunternehmen der Schweiz. Durch die Fusion entstanden Synergien im Marketing-, Sach- und Personalbereich. Die Einsparungen kommen auch der Erneuerung, dem Ausbau, der Schneesicherheit und letztlich auch der einzigartigen Positionierung des ganzen Gebietes zugute. Für die nächsten fünf Jahre sind Investitionen in einem Umfang von 50 Mio. CHF geplant, dazwischen z. B. auch der Ersatz der „Signalbahn“ durch eine 10er-Kabinenbahn.

Die Engadin St. Moritz Mountains AG beschäftigt 410 Mitarbeiter im Winter und 210 im Sommer, darunter rund 175 Ganzjahresangestellte. Die Unternehmung ist damit eine tragende Säule der Engadiner Wirtschaft.

Hätten sich die englischen Gäste von Johannes Badrutt vor 150 Jahren eine solche Entwicklung vorstellen können?

Roman Gric

*) Die älteste rein touristische Standseilbahn Europas, die Giessbachbahn am Brienzersee, wurde 1879 eröffnet; die im Jahr 1899 eröffnete erste Seilbahn Graubündens, die Schatzalpbahn in Davos, war vor allem eine Hotel-Zubringerbahn.

 

Heute präsentiert sich die Piz-Nair-Bahn mit modernen Kabinen von Gangloff. An der Fassade der Talstation in Corviglia wurde eine Fotovoltaikanlage installiert. (Foto: swiss-image.ch/Christof Sonderegger)

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