Mit der zwischen den Jahren 1908 und 1914 im Nordhessen gebauten 48 m hohen Ederstaumauer entstand der 28,5 km lange, flächenmäßig zweit- und volumenmäßig drittgrößte Stausee Deutschlands. Im Jahr 1943, während des Zweiten Weltkrieges, wurde die Staumauer durch einen Bombenangriff schwer beschädigt und durch Zwangsarbeiter noch im selben Jahr wiederaufgebaut. Nach dem Krieg hat die touristische Bedeutung der bergigen Landschaft rund um den Edersee, zu dem auch der Nationalpark Kellerwald-Edersee gehört, als Erholungsgebiet mit vielseitigen Möglichkeiten stark zugenommen. Zu den Magneten des Gebietes gehört das Schloss Waldeck, das der gesamten Ferienregion seinen Namen gab. Heute gibt es in dieser mehrmals umgebauten Burganlage aus dem 12. Jahrhundert ein Museum und ein Hotel mit Restaurant.
Pioniertat für den Tourismus
Als am 1. April 1958 die Waldeckische Landeszeitung über das Vorhaben des Baus einer Seilbahn vom Seeufer auf den Schlossberg von Waldeck berichtete, galt diese Ankündigung als Aprilscherz. Die Anzahl von 2,1 Mio. Übernachtungen im Ferienland Waldeck im Jahr 1960 lasse aber die mutigen Investoren zuversichtlich in die Zukunft blicken. Im Jahr 1961 ist dank der Initiative des Immobilienkaufmanns aus Kassel Achim Wickmann, der das touristische Potenzial der Region bald erkannt hat, dieser „Aprilscherz“ Wirklichkeit geworden.
Nach einer kurzen Bauperiode wurde am 28. März 1961 die mit einem Investitionsumfang von 1,3 Mio. Deutschen Mark gebaute Waldecker Bergbahn eröffnet. Die 650 m lange Kleinkabinenbahn mit 2er-Kabinen überwindet einen Höhenunterschied von 100 m und befördert in ihren 28 2er-Kabinen 360 P/h in einer Richtung. Die Bahn erleichtert den beschwerlichen Aufstieg zum Schlossberg. Sie wurde als letzte Anlage der traditionsreichen deutschen Seilbahnbaufirma Pohlig aus Köln gebaut, bevor es zur Fusion der drei deutschen Seilbahnhersteller Pohlig-Heckel-Bleichert zur Firma PHB im Jahr 1962 gekommen ist. Neben der Westfalenpark-Seilbahn in Dortmund ist die Seilbahn zum Schloss Waldeck heute die letzte noch erhaltene Kabinenbahn von Pohlig mit Giovanola-Klemmen. Sie ist damit heute nach sechs Jahrzehnten Betrieb nicht nur eine Nostalgiebahn, sondern ein ganz besonderes Stück deutscher Seilbahngeschichte.
Seilbahnbauer mit Tradition
Die Firma von Julius Pohlig fertigte Materialseilbahnen bereits seit 1873. Mit der Eröffnung der Pendelbahn zum Zuckerhut (Pão de Açúcar) in Rio de Janeiro (Eröffnung der 1. Teilstrecke im Oktober 1912 und der 2. Teilstrecke im Jänner 1913) ist die Firma Pohlig weltbekannt geworden. Die Waldecker Bergbahn ist in gewisser Weise mit der Zuckerhutbahn verbunden, denn die Monteure von Pohlig überholten diese Pendelbahn in Rio de Janeiro im Jahr 1960, bevor sie quasi direkt nach Waldeck kamen, um die Kleinkabinenbahn zu bauen.
Für seine kuppelbaren Einseilumlaufbahnen verwendete Pohlig die automatische Schwergewichtsklemme des Systems Giovanola. Bis Mitte der 1980er Jahre war diese Klemme weltweit die am weitesten verbreitete Kuppelklemme, die von Herstellern wie Habegger, Städeli, PHB, Ceretti & Tanfani oder Breco in ihren Anlagen verwendet wurde.
Erhaltung der nostalgischen Bahn oder Neubau?
Die Bahn ist von Anfang April bis Ende Oktober in Betrieb und neben den 28 Personenkabinen verfügt sie auch über zwei Fahrzeuge, in denen bis zu vier Fahrräder befördert werden. Etwa 100.000 Gäste fahren jährlich mit der Waldecker Bergbahn, wobei noch nie öffentliches Geld in die Bahn geflossen ist. Sie gehört zu den wenigen deutschen Seilbahnen, die rein privat betrieben werden. Vieles läuft noch im Handbetrieb, wie das Freigeben der Kabinen auf die Strecke, die Verschiebung der Kabinen in den Stationen und das Öffnen und Schließen der Kabinentür.
Die Waldecker Bergbahn punktet bei ihren Fahrgästen mit ihrem nostalgischen Charme und ihrer Geschichte, kann aber den gegenwärtigen Bedürfnissen nach einer modernen und bequemen Seilbahnbeförderung nicht mehr entsprechen. Auch wenn vor allem dank der sorgfältigen Wartung der Bahn die Betriebsgenehmigung vom Regierungspräsidium Kassel für weitere zehn Jahre verlängert wurde, machen sich die Betreiber Gedanken um eine Modernisierung der Bahn. Gerne möchte man künftig auch die Gäste befördern, die im Rollstuhl sitzen oder den Fahrradtransport erweitern. Diese und weitere Änderungen erfordern allerdings zusätzliche Investitionen. Dazu wird eine neue Beteiligungs- und Betriebsform gesucht, die den finanziellen Aufwand auf mehr Schultern verteilen würde, um die Bahn für die Zukunft zu rüsten.
Über Pläne für eine gänzlich neue Seilbahn am Edersee wird nun heiß diskutiert. Denn ohne Abbau der alten Waldecker Bergbahn ist der Bau einer neuen Seilbahn nicht genehmigungsfähig.