Mit Datum 22. 10. 2008 hat das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) die Richtlinie R 6 ("Bestimmungen über Bergeeinrichtungen von Seilbahnen") herausgegeben. Ein Anlass für deren Erstellung war, dass seit der Einführung des österreichischen Seilbahngesetzes (SeilbG 2003) die europäische Seilbahnnorm EN 1909 "Sicherheitsanforderungen für Seilbahnen für den Personenverkehr - Räumung und Bergung" angewendet wird und dadurch mehrere Abänderungen von bisher in Österreich üblichen Gepflogenheiten erforderlich wurden.
Außerdem bestand der Wunsch von Herstellern, Seilbahnunternehmen, Sicherheitsberichterstellern und Behörden, bestehende Unklarheiten hinsichtlich Verfahren und Unterlagen zu beseitigen. Durch die R 6 wird die Grundlage für eine einheitliche Vorgangsweise im Zusammenhang mit der Beschaffung und Änderung von Bergeeinrichtungen geschaffen. Die R 6 enthält Begriffsbestimmungen; insbesondere definiert sie die Begriffe "Bergeplan" und "Bergekonzept" neu.
Sie erläutert die anzuwendenden (Behörden-)Verfahren und legt die Antragsunterlagen für genehmigungspflichtige Bauvorhaben fest. Außerdem bestimmt sie die Voraussetzungen und vorzulegenden Unterlagen für den Fall, dass Bergeeinrichtungen für mehrere Seilbahnenbereit gestellt werden sollen.
Begriffsbestimmungen
Bisher war in Österreich für eine zum Bergen verwendete Einrichtung der Begriff "Bergegerät" üblich. Nachdem aber im Anhang I zur Richtlinie 2000/9/EG ("Seilbahnrichtlinie") die Bergeeinrichtungen als Teilsystem 6 benannt sind, wird auch in der R 6 nun der Begriff "Bergeeinrichtung" als Überbegriff für alle Bauteile einer Einrichtung einer Seilbahn festgelegt, die zur Bergung von Personen aus Fahrzeugen dient.
Als "Bergegerät" wird in der R 6 nunmehr die Gesamtheit jener Bauteile einer Bergeeinrichtung definiert, die zur Bergung der Personen aus dem Fahrzeug zum Boden und der Sicherung des Bergepersonals dient. Unter den Begriff "Bergegerät" fallen somit beispielsweise Abseilgeräte, Auffang-, Sitz- und Haltegurte, Rettungsschlaufen (Bergedreiecke), Auffanggeräte, Karabiner, (Rück-)Halte- und Fangseile. Eine Bergeeinrichtung zum Abseilen besteht somit in der Regel aus einem Seilfahrgerät für das Bewegen von Bergepersonal längs des Seiles und aus einem (aus einzelnen Bauteilen bestehenden) Bergegerät.
Bergeplan und Bergekonzept
Auch die bisherige Bedeutung des Begriffes "Bergeplan" musste geändert werden, da in einem Bergeplan gemäß EN 1909 der geplante Ablauf einer Bergung wesentlich umfassenderer und detaillierter beschrieben werden muss, als es bisher üblich war. Der Bergeplan gemäß EN 1909 soll dem Betriebsleiter als detaillierte Anleitung dienen, mit der er den Ablauf der Bergung organisiert. Gerade in einer stressbehafteten Ausnahmesituation ist es wichtig, dass Punkt für Punkt an Hand einer Unterlage vorgegangen werden kann, deren Anwendung vorher geplant und erprobt wurde.
Der Bergeplan soll alle Maßnahmen berücksichtigen, die für eine gefahrlose Bergung notwendig sind und daher auch wichtige Details, wie das Deaktivieren einer hydraulischen Spanneinrichtung vor Beginn der Bergung, enthalten. Der Bergeplan wird auf Grundlage eines Bergekonzeptes unter Berücksichtigung von Erprobungen vom Seilbahnunternehmen erstellt und im Zuge des Betriebsbewilligungsverfahrens der Behörde vorgelegt.
Die weitere ständige Aktualisierung des Bergeplanes erfolgt durch den verantwortlichen Betriebsleiter. Formelle Genehmigungen dieser Aktualisierungen durch die Behörde sind nicht erforderlich, solange dabei das Bergekonzept nicht über den Umfang hinaus geändert wird, der gemäß R 6 zulässig ist. In der R 6 wird das Bergekonzept als jener Teil des Bergeplanes definiert, indem nur die technische und organisatorische Durchführbarkeit einer Bergung dargelegt wird.
Bei einem Neubau einer Seilbahn oder bei einem genehmigungspflichtigen Umbau, der Bergeeinrichtungen mit umfasst, ist das Bergekonzeptin den Bauentwurf aufzunehmen. An Hand des Bergekonzeptes erfolgt die Überprüfung der grundsätzlichen Machbarkeit und der Einhaltung der Grundlegenden Anforderungen gemäß Anhang II der Seilbahnrichtlinie. Auch bei der Festlegung der Inhalte des Bergekonzepts war die EN 1909 zu berücksichtigen. Somit muss ein Bergekonzept folgende Punkte enthalten:
- Beschreibung der vorgesehenen Bergeverfahren und Bergeeinrichtungen und ihrer Einsatzbereiche sowie ggf. von Einrichtungen und/oder Maßnahmen, die einer geborgenen Person das gefahrlose Verlassen der Bergestelle ermöglichen. Die Beschreibung hat alle vorgesehenen Betriebsarten (z. B. Betrieb mit größeren Fahrzeugabständen, Fahrten mit einzelnen Gruppen von Fahrzeugen, Fahrten bei Dunkelheit) und Einsatzbedingungen zu berücksichtigen.
- Ermittlung des voraussichtlichen Zeitbedarfs für die Bergung aller Fahrgäste ab Stillstand der Seilbahn (Bergezeitplan), wobei die gemäß EN 1909 größtzulässige Gesamtzeit von 3 1/2 Stunden nicht überschritten werden darf. Bei Umlaufseilbahnen kann dabei von einem einseitig vollbesetzten Seilstrang ausgegangen werden, sofern nicht auf Grund besonderer Betriebsverhältnisse mit gleichzeitigem kontinuierlichen Fahrgastaufkommen in beiden Fahrtrichtungen zu rechnen ist.
Der Bergezeitplan muss besondere Einsatzbedingungen berücksichtigen und jedenfalls enthalten:- 30 Minuten Überlegungsdauer bis zur Einleitung der Bergung,- gegebenenfalls Zeiten für temporäre Maßnahmen zur Herstellung lawinensicherer Verhältnisse,- Zeiten für die Bereitstellung der Bergemannschaften mit den Bergeeinrichtungen und allfälligen Bergehilfseinrichtungen (z.B. Scheinwerfer) anden jeweiligen Einsatzstellen (Bergeabschnitte),- Zeiten für die notwendigen Arbeitsschritte zum Erreichen aller Fahrzeuge durch das Bergepersonal im jeweiligen Bergeabschnitt,- Zeit für die Evakuierung der beförderten Personen aus den Fahrzeugen zu den vorbestimmten sicheren Orten.
- Angabe der erforderlichen Anzahl von Bergeeinrichtungen auf Grundlage des Bergezeitplans.
- Angabe der Lagerorte für die beweglichen Bergeeinrichtungen. Zu beachten ist, dass die Anfahrtszeiten für das Bergepersonal und die Zeiten für die Bereitstellung der Bergeeinrichtungen saisonal unterschiedlich sein können.
Abhängig vom Bergeverfahren sind Zeiten für unterschiedliche Arbeitsschritte zu berücksichtigen, z. B. "Stützen be- und übersteigen mit Aufsetzen des Seilfahrgerätes am Seil", "Fahrt entlang des Seiles und Übersetzen der Fahrzeuge", "Vorbereitung für das Abseilen am Fahrzeug sowie einer zusätzlich erforderlichen Zeit für das Nachgehen der Bodenmannschaft" (bei großerEntfernung oder schwierigem Gelände kann diese Zeit die relevante sein), "Inbetriebnahme einer Bergewinde und/oder eines Bergefahrzeuges".
Erste Erfahrungen mit der Anwendung der neuen Art von Bergekonzepten zeigen, dass mit der detaillierten Erfassung des Zeitbedarfes für einzelne Arbeitsschritte zeitkritische Bergeabschnitte nunmehr leichter identifiziert und Maßnahmen daraus abgeleitet werden können. Beispielsweise ist ersichtlich, welche Bergeabschnitte von den zuerst verfügbaren Mannschaften angefahren werden müssen, oder wo Bergeeinrichtungen zu lagern sind, um die Zeit für deren Heranschaffung zu verkürzen. Eine wesentliche Erkenntnis aus den bisherigen Detailuntersuchungen der verschiedenen Betriebsarten ist, dass bei größeren Fahrzeugabständen die Erreichbarkeit der Fahrzeuge besondere Methoden oder Ausrüstungen erfordern kann.
(Behörden-)Verfahren
Bei Errichtung einer neuen Seilbahn mit neuen Bergeeinrichtungen ist selbstverständlich, dass diese im Zuge der Betriebsbewilligung der Seilbahn mitgenehmigt werden. Bei Änderungen an bestehenden Bergeeinrichtungen war aber offensichtlich nicht ausreichend ersichtlich, ob und falls ja, in welchem Verfahren eine Genehmigung der Behörde einzuholen ist. Die Auswahl des anzuwendende Verfahrens ist bei den Bergeeinrichtungen zugegebenermaßen besonders komplex, da hier ergänzend zur Anwendung der Richtlinie R 4 ("Bestimmungen über die Vorgangsweise bei einem Ersatz von Bauteilen sowie bei Zu- und Umbauten von Seilbahnen") einige Änderungen an Bergegeräten auch in den Anwendungsbereich der Verordnung über genehmigungsfreie Bauvorhaben (VgBSeil 2006) fallen und außerdem das SeilbG 2003 für Seilfahrgeräte als Sicherheitsbauteile besondere Verfahren vorsieht. Die jeweils anzuwendenden Verfahren sind nunmehr in der R 6 im Detailbeschrieben.
Bereitstellung von Bergeeinrichtungen für mehrere Seilbahnen
In letzter Zeit wurde von einigen Seilbahnunternehmen der Wunsch geäußert, dass Bergeeinrichtungen für mehrere Seilbahnen bereit gestellt werden können. Dadurch wird die Anzahl der instand zu haltenden Bergeeinrichtungen reduziert und das beigezogene Bergepersonal findet auf diesen Seilbahnen zukünftig dieselben Bergeeinrichtungen vor, womit sich eine höhere Vertrautheit mit deren Handhabung ergibt. Bei der Bereitstellung von Bergeinrichtungen für mehrere Seilbahnen sind folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Die Bergeeinrichtungen werden ausschließlich für Seilbahnen eines Seilbahnunternehmen bereit gestellt, damit die Verantwortlichkeit für die Instandhaltung der Bergeeinrichtungen klar geregelt ist.
- Die Bergeeinrichtungen werden für höchstens acht Seilbahnen bereitgestellt, wobei jede Teilstrecke als eigene Seilbahn zu werten ist. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit, dass zu wenige Bergeeinrichtungen vorhanden sein könnten, weil auf mehr als einer Seilbahn gleichzeitig geborgen werden muss, auf ein ausreichendes Ausmaß reduziert.
- Ein zukünftig erforderliches Heranschaffen der Bergeeinrichtungen aus weiter als bisher entfernten Lagerorten darf bei keiner der betroffenen Seilbahnen dazu führen, dass die zulässige Gesamtzeit für die Bergung überschritten wird.
- Die erforderliche Gesamtanzahl an Bergeeinrichtungen, die bereit gestellt werden müssen, wird durch die größte Anzahl an Bergeeinrichtungen bestimmt, die bei einer einzelnen Seilbahn erforderlich ist. Bei Seilbahnen mit Teilstrecken ist dabei von einer gleichzeitigen Bergung an den Teilstrecken auszugehen, sofern nicht jede Teilstrecke für sich allein im Umlaufbetrieb betreibbar ist und über einen eigenen Notantrieb verfügt. Für eine Bereitstellung von Bergeeinrichtungen für mehrere Seilbahnen ist eine anlagenbezogene Zustimmung der Seilbahnbehörde erforderlich. Die dabeivorzulegenden Unterlagen sind in der R 6 angeführt.
Schlussbemerkung
Bergungen sind ein äußerst selten auftretendes Ereignis. Somit ist die Wahrscheinlichkeit zwar gering, dass sich der Aufwand für die Planung, Genehmigung, Beschaffung, Instandhaltung und Übung mit den Bergeeinrichtungen in einem Ernstfall bewähren muss. Trotzdem ist es für die Verantwortlichen sicher beruhigend zu wissen, dass man mit gut instand gehaltenen Einrichtungen, trainiertem Personal und einem detaillierten Bergeplan bestens vorbereitet ist.
Dipl.-Ing. Alfred Wöß, Abteilung SCH 3