Als eine Maßnahme zur besseren Vermarktung von Skigebieten (durch den Nachweis der Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards) werden seit den 1970-er Jahren „Pistengütesiegel“ vergeben (in Tirol z. B. seit dem Jahre 1977). Das Gütesiegel enthält z. B. Bestimmungen, welche die Sicherungspflichten, die Kontrolle der Pisten, deren Einstufung (nach Schwierigkeitsgraden) sowie deren Markierung und Präparierung festlegen. Mit dem Hinweis auf das verliehene Pistengütesiegel kann das Seilbahnunternehmen dokumentieren, dass es die vorgegebenen Standards einhält.
Gütesiegel als Vertragsbestandteil
Eine Verpflichtung zur Einhaltung des Gütesiegels besteht für das Seilbahnunternehmen nur gegenüber der vergebenden Stelle (z. B. Bundesland). Sollten die Auflagen nicht eingehalten werden, kann es allenfalls entzogen werden. Die Bestimmungen zu den Pistengütesiegeln sehen bei einem Verstoß keine direkte Haftung der Seilbahnunternehmen gegenüber Wintersportlern vor.
Allerdings könnte sich eine Haftung des Seilbahnunternehmens auf Grund eines Gütesiegels wie folgt ergeben: Ein verunfallter Wintersportler könnte damit argumentieren, dass er das Skigebiet im Wissen und Vertrauen auf das Pistengütesiegel benutzt hat. Er habe sich somit darauf verlassen, dass alle Maßnahmen eingehalten werden, die das Gütesiegel vorsieht und habe (auch) aus diesem Grund dieses Skigebiet ausgewählt. Mit dieser Argumentation wird der Inhalt des Pistengütesiegels Teil des zwischen Seilbahnunternehmen und Wintersportler abgeschlossenen Beförderungsvertrages und ist das Unternehmen dann dem Wintersportler gegenüber – vertraglich – zur Einhaltung der Vorschriften laut Gütesiegel verpflichtet.
Dies stellt in den Bereichen Pistensicherung, Präparierung etc. keinen Nachteil dar, da diese Bereiche auf Grund des Beförderungsvertrages ohnehin entsprechend zu beachten sind. Allerdings enthalten die Bestimmungen der Gütesiegel teilweise auch Vorschriften zur Pistenrettung. So sehen sie z. B. auch vor, dass das Seilbahnunternehmen einen Rettungsdienst einzurichten hat und dass die Pistenretter zur Aufnahmen von Unfalldaten verpflichtet sind.
Erfassung von Unfalldaten als vertragliche Pflicht?
In der ISR 6/2009 habe ich davon berichtet, dass ein Gericht (zu Recht) die Haftung eines Seilbahnunternehmens für die Nichterfassung der Unfalldaten durch die Pistenretter abgelehnt hat. Wenn sich allerdings ein solcher Unfall in einem Skigebiet ereignet, dem ein Gütesiegel verliehen wurde, kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Verunfallter vor Gericht erfolgreich damit argumentiert, dass die Pistenretter vertraglich – eben auf Grund des Gütesiegels – verpflichtet sind, die Unfalldaten zu erheben. Sollte dies unterlassen worden sein, könnte der Verunfallte damit eine Verletzung vertraglicher Bestimmungen durch das Seilbahnunternehmen nachweisen, für deren Folgen es dann zu haften haben wird.
Da die Aufnahmen von Unfalldaten einer behördlichen Pflicht gleichkommt, muss (zumindest) diese Verpflichtung aus den Bestimmungen der Pistengütesiegel gestrichen werden. Solche (quasi behördliche) Tätigkeiten könnten einerseits die medizinische Versorgung des Verletzten verzögern oder behindern, anderseits besteht das oben aufgezeigte Haftungsrisiko.
Es ist auch vollkommen ungeklärt, wie ein Pistenretter vorgehen sollte, wenn sich eine Person weigert, ihre Daten bekannt zu geben. Muss er dann die Vorlage eines amtlichen Ausweisdokuments verlangen, um die Daten zu erfassen? Sollte sich eine beteiligte Person von der Unfallstelle entfernen, ohne die Daten bekannt zu geben (wie dies z. B. kürzlich im Tiroler Unterland der Fall war) stellt sich die Frage, wie ein Pistenretter vorzugehen hätte: Muss er diese Person (mit Gewalt?) aufhalten und am Verlassen der Unfallstelle hindern und die Versorgung des Verletzten dafür unterbrechen?
Keine Datenerfassung durch Pistenretter erforderlich
Natürlich liege es im eigenen Interesse der Unternehmen, freiwillig Unfalldaten aufzuzeichnen, um allenfalls später Schadenersatzforderungen erfolgreich abwehren zu können. Meines Erachtens wird aber mit einer Pflicht zur Aufnahmen von Unfalldaten durch Pistenretter den Seilbahnunternehmen eine nicht zumutbare Pflicht aufgeladen und ist darauf hinzuarbeiten, dass diese Verpflichtung in den Bedingungen der Pistengütesiegel gestrichen wird. Jeder Wintersportler ist auf Grund der von ihm zu beachtenden FIS-Regeln von sich aus verpflichtet, den Behörden seine Daten bekannt zu geben und es sollte dies eine Selbstverständlichkeit darstellen.
Letztendlich steht diese Datenaufnahme auf der einen Seite in keinem Zusammenhang mit den Zielen der Gütesiegel (Qualitätsstandard für Pisten, Vermeidung von Gefahrenquellen, verbesserte Vermarktung), auf der anderen Seite könnte es dadurch zu einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung der Seilbahnunternehmen kommen, die nicht sachgerecht ist.
(erschienen in ISR 1/10, Christoph Haidlen)