Wie dort ausgeführt wurde, besteht eine Haftung des Seilbahnbetreibers immer dann, wenn sich ein Unfall "beim Betrieb" der Anlage ereignet.
Verunfallt ein Wintersportler während er eine Seilbahn, einen Schlepplift etc. benutzt, dann schreibt das Gesetz diese Haftung fest. Die größte Gefahrenquelle stellt dabei naturgemäß der Vorgang des Aussteigens von einem Sessellift dar: Häufig ereignen sich Unfälle beim oder kurz nach dem Aussteigen des Skifahrers aus dem Sessellift. Hier stellt sich dann bei der Abklärung der möglichen Haftung des Seilbahnbetreibers die Frage, ob auch bei diesen Unfällen davon gesprochen werden kann, dass sie sich „beim Betrieb“ der Anlage ereignet haben, oder ob dies nicht mehr gegeben ist. Im ersten Fall würde der Seilbahnbetreiber nach dem strengen Maßstab des EKHG haften, im zweiten Fall nicht.
Konkret zu klären ist daher die Frage, bis zu welchem Bereich nach dem Ausstieg aus einem Lift noch die Rede davon sein kann, dass der Unfall durch den „Betrieb“ der Anlage verursacht wurde. In den meisten Fällen betrifft dies den Ausstieg aus einem Sessellift oder einem Schlepplift. Bei Kabinenbahnen treten diese Zweifelsfragen kaum auf, da hier kein „dynamischer“ Ausstiegsvorgang vorliegt und da sich die Wintersportler in diesen Fällen zu Fuß bewegen.
Unfallbeispiele Ausstiegsbereich
Das Gesetz präzisiert diese Frage nicht weiter, daher war sie von den Gerichten zu klären. Folgende Urteile können als Beispiele zur Abgrenzung herangezogen werden:
Ein Kind (zum Unfallszeitpunkt 7 Jahre alt) stürzt bei der Talfahrt mit einem Einpersonensessellift ab. Es bestieg zuvor ordnungsgemäß den Sessel und schloss den Sicherheitsbügel. Bereits ca.60 Meter vor der Ausstiegsstelle öffnete es den Sicherheitsbügel, dabei fiel es vom Sessel und stürzte ca. 7 Meter ab. Das Gericht erkannt in diesem Fall, dass zweifelsfrei die Haftung nach dem EKHG anzuwenden ist, da sich der Unfall während der Liftfahrt, somit „während des Betriebes“ ereignet hat.
Ein weiterer Fall betraf wieder ein Kind, dieses war zum Unfallzeitpunkt 6 Jahre alt. Es benutzte gemeinsam mit seiner Mutter einen Doppelsessellift bergwärts. Bei der Ausstiegsstelle stand es allerdings nicht rechtzeitig vom Sessel auf und bleib auf diesem sitzen. Erst nach dem Ende der Abfahrtsrampe – der Sessel war in der Zwischenzeit weitergefahren - rutsche es vom Sessel und stürzte ab. Auch hier wendete das Gericht das EKHG an.
Es hielt dazu fest, dass ein Unfall „beim Betrieb“ dann vorliegt, wenn ein unmittelbarer zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und einer Seilbahn besteht. In diesem Fall ist das Kind zwar über das Ende der eigentlichen Fahrstrecke hinaus gefahren, da es sich der Unfall aber dadurch ereignete, dass es direkt vom Sessel fiel, kam immer noch die strenge Haftung zur Anwendung.
In dem dritten Beispiel benutzte eine Skifahrerin gemeinsam mit ihrem Ehegatten einen Doppelsessellift bergwärts. Während des Aussteigens verklemmte sich ihr Schuh unter dem Sessel. Sie wurde von dem Sessel weitergeschoben und kam im Bereich der Abfahrtsrampe, einige Meter nach der eigentlichen Ausstiegsstelle zu Sturz. Auch in diesem Fall verurteilte das Gericht den Seilbahnbetreiber nach dem EKHG. Es sprach aus, dass zwischen dem Unfall und dem Beförderungsvorgang ein direkter Zusammenhang bestehen muss. Dieser war hier gegeben, da das Gericht davon ausging, dass der Sturz durch die Beförderung bzw. Bewegung der Skifahrerin durch den Lift verursacht wurde (Genaueres konnte vom Gericht nicht geklärt werden).
Entscheidung oft zu Lasten der Seilbahnen
Grundsätzlich sind die Gerichte bei der Auslegung der Frage, welcher Unfall noch dem „Betrieb“ der Seilbahn zuzurechnen ist, eher großzügig. Dies zeigt sich am letzten Beispiel: Eine Skifahrerin benutzt einen Doppelsessellift bergwärts. Beim Aussteigen gerät sie – aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen – in Schwierigkeiten. Sie steht vom Sessel auf, fährt die Abfahrtsrampe noch hinunter und erst ca. 10 – 15 Meter von der Ausstiegsstelle entfernt kommt sie zu Fall. Auch hier hat das Gericht das EKHG angewendet und ausgesprochen, dass auch ein solcher Unfall „beim Betrieb“ des Sesselliftes stattgefunden hat.
Grenze „normaler Pistenbereich“
Generell ist zu sagen, dass bei Unfällen nach dem Aussteigen aus einem Sessellift so lange noch die strenge Haftung des EKHG angewendet wird, bis sich der Wintersportler von der Abfahrtsrampe entfernt und wieder in den „normalen“ Pistenbereich eingeordnet hat. So lange sich der Wintersportler noch in einem Bereich befindet, der ausschließlich von den aussteigenden Wintersportlern erreicht werden kann (das ist die Verbindung zwischen Ausstiegsstelle und der Piste), wenden die Gerichte die Haftung nach dem EKHG an. Das ist unabhängig davon, ob sich der Unfall nun direkt beim Ausstieg, 5 Meter oder 15 Meter davon entfernt ereignet hat.
(erschienen in ISR 3/06, Christoph Haidlen)