Oberer Teil der über den Gletscher führenden Trasse der Doppelsesselbahn "Gefrorene Wand IIIa", vom Kopf der oberen Gletscherstütze aus gesehen. Rechts verläuft neben der Doppelsesselbahn fast parallel die Trasse des Einsessellifts.
Foto: J. Nejez

ISR-SEILBAHNGESCHICHTE(N)

Gletscherstützen mit Halteseil

Es ist jetzt 43 Jahre her, dass ich als noch wenig erfahrener Amtssachverständiger für Seilbahntechnik mit einer heiklen Aufgabe betraut worden bin: Ich sollte die Seilbahnbehörde als Amtssachverständiger beim Projekt einer Doppelsesselbahn vertreten, bei dem zwei Stützen auf einem Gletscher mit erheblicher Fließgeschwindigkeit erforderlich ­waren.

von: Josef Nejez

Es war das erste Mal, dass eine derartige Baugenehmigung für eine Seilbahn im Kompetenzbereich der Obersten Seilbahnbehörde beantragt wurde. Es gab zwar schon eine Doppelsesselbahn mit einer Gletscherstütze, aber bei dieser Anlage stand die Stütze auf einem ruhenden Gletscher, auf dem der Schaft der T-Stütze auf im Eis gelagerten Stahlträgern aufgebaut werden konnte. Beim gegenständlichen Projekt sollten zwei Stützen durch ein über die Stützenköpfe geführtes Seil gehalten werden.

Das Projekt

Im Skigebiet Hintertuxer Gletscher existierte der Einsessellift Gefrorene Wand III aus dem Jahr 1971, der mit seiner Förderleistung von 652 P/h der Anforderung, den unteren Teil des Skigebiets mit dem oberhalb gelegenen Teil des Gletscherskigebiets zu verbinden, nicht mehr gewachsen war. Dieser Einsessellift sollte eine wesentliche Verstärkung erhalten: die Doppelsesselbahn Gefrorene Wand IIIa. Wie beim Einsessellift führt die Trasse im mittleren Abschnitt über einen Gletscher mit erheblicher Fließgeschwindigkeit – laut dem Seilbahnunternehmen waren Werte zwischen 5 und 15 m pro Jahr zu erwarten. Für eine Überspannung des Gletschers mit nur einem Seilfeld war der Abstand zwischen den auf Fels gegründeten Stützen oberhalb und unterhalb des Gletschers zu groß, und wegen der relativ hohen Fließgeschwindigkeit des Gletschers war an freistehende Stützen auf dem Gletschereis nicht zu denken. Wie schon beim Einsessellift waren Gletscherstützen mit Halteseil erforderlich. Bei der Doppelsesselbahn mussten zwei Portalstützen auf dem Gletschereis angeordnet werden (Abb. 1, 2 und Aufmacherbild), auch um den bei Sesselbahnen einzuhaltenden maximalen Bodenabstand nicht zu überschreiten.

Schwierigkeiten im Baugenehmigungsverfahren

Rechtzeitig vor der Erstellung des Bauentwurfs trat die Fa. Doppelmayr an mich heran, um vorweg zwei Problemkreise zu diskutieren, dafür Lösungen zu finden und sie in die Planung einfließen zu lassen. Es waren dies das gesamte System des Halteseils sowie die mit der variablen Position der Gletscherstützen zusammenhängenden Probleme mit der Längenschnittsberechnung.

Das Halteseil

An sich war das System von Gletscherstützen mit Halteseil nicht neu. Außer beim Einsessellift Gefrorene Wand III gab es bereits zahlreiche Schlepplifte mit ganzen Reihen von Gletscherstützen mit Halteseilen. Dazu heißt es beispielsweise in einem Artikel über neue Doppelmayr-Gletscherschleplifte in ISR 5/1977 im Abschnitt Die Technik der schwimmenden Stützen:           

Verwendet werden 9 m hohe Gitterportalstützen. Die Streben sind kardanisch mit speziellen Sockeln verbunden, die nur auf dem gepressten Schnee stehen. Mit einem von der Tal- zur Bergstation durchlaufenden Halteseil werden die „schwimmenden“ Stützen miteinander verbunden. Die Verbindung am Stützenjoch erfolgt mit einer Art „Rutschkupplung“, die bei Überlastung der Verbindung nachgibt. Das Halteseil ist an der Bergstation fix verankert, wobei zusätzlich ein Dynamometer mit einem elektrischen Überwachungskontakt zur Kontrolle der Seilspannkraft eingebaut ist. In der Talstation ist das Halteseil mit einem Spanngewicht verbunden. Die Antriebs- und Umlenkstationen sind meist auf Fels gebaut und mit Felsankern befestigt.

Nun, für die Gletscherstützen einer Doppelsesselbahn war die Verbindung des Stützenjochs mit dem Halteseil in Form einer „Art Rutschkupplung, die bei Überlastung der Verbindung nachgibt“, wohl keine adäquate Konstruktion. Aber nicht nur dieses Detail, sondern eine Reihe von grundsätzlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Halteseil waren zu lösen.

Da war einmal die Frage, ob ein Seil in Bahnachse oder zwei Seile jeweils an den Enden der Stützenjoche geführt werden sollten. Der Einsessellift Gefrorene Wand III hatte zwei solcher außenliegenden Halteseile; ich bestand jedoch darauf, die Konstruktion mit nur einem Seil zu wählen, weil dadurch für die Gletscher-Portalstütze eine Dreipunktlagerung – die beiden Stützenfüße unten und die Halteseilklemme oben – entsteht, also ein statisch bestimmtes System. Bei zwei Halteseilen bilden die Stützenfüße und die beiden Halteseilklemmen eine Vierpunktlagerung, ein statisch unbestimmtes System: Jede einzelne Verschiebung eines der Auflagepunkte in Längsrichtung ergibt eine Torsionsbeanspruchung der Portalstütze und Änderung der Seilspannkräfte in den Halteseilen, deren Ausmaße kaum kalkulierbar sind. Dem Vernehmen nach gab es beim Einsessellift damit keine Probleme, aber mir war eine statisch „saubere“ Lösung lieber.

Die nächste Frage war die nach der Art des Seils, die als Halteseil verwendet werden sollte. Da kam mir die brandneue 3. Auflage der Bedingnisse betreffend die Herstellung und Verwendung von Stahldrahtseilen für Seilförderanlagen mit Personenbeförderung, bekannt unter der Kurzbezeichnung DSB 80, zupass, in der sich im Abschnitt über den Geltungsbereich der Vorschrift folgende Bestimmung findet:

31.13 …; für Halteseile gelten die Bestimmungen für Tragseile sinngemäß.

Damit hatte ich, was ich benötigte: eine damals gültige Vorschrift für die auszuwählende Seilart, für die Bemessung des Seils und der damit im Zusammenhang stehenden Anlageteile. Als Halteseil für die Doppelsesselbahn Gefrorene Wand IIIa wurde ein vollverschlossenes Spiralseil (Abb. 4) gewählt, das von der Bergstation mittels drehbar gelagerter, geschlossener Seilschuhe (Abb. 5) über die Joche der fixen ­T-Stützen zur Talstation geführt wurde.

In der Bergstation ist bei der Verankerung des Halteseils ein Dynamometer zur Überwachung der Seilspannkraft eingebaut (Abb. 6). In der Talstation ist das Halteseil fixverankert.

Die Querträger der beiden Gletscher-Portalstützen werden mittels einer mittig angeordneten Klemme am Halteseil verankert. Die Behandlung des Halteseiles als Tragseil machte eine spezielle Konstruktion der Klemme an den Gletscherstützen erforderlich (Abb. 7). Der Teil mit den Klemmschrauben sorgt für die Rutschsicherheit, die oberhalb und unterhalb anschließenden Schuhteile der Klemme schützen das Halteseil gegen übermäßige Biegung bei der Montage. Die gesamte Klemme ist um eine horizontale Achse drehbar gelagert; wegen der im Gletscherbereich bergwärts zunehmenden Trassenneigung (siehe Abb. 1 bis 3) führt das Halteseil nahezu geradlinig durch die Klemme. 

Variabler Längenschnitt

Der zweite heikle Problemkreis im Genehmigungsverfahren für die Doppelsesselbahn Gefrorene Wand IIIa war die Längenschnittsberechnung. Für jede normale Längenschnittsberechnung gehören die geometrischen Angaben zu den Stützenpositionen – Seilfeldlängen, Seilfeldhöhen – zu den Basisdaten. Die zugehörige Seilrechnung – Verlauf der Seilspannkraft, Stützen- und Rollenlasten, Seilanlaufwinkel an den Rollenbatterien, Seildurchhänge als Grundlage für den Nachweis der Bodenabstände u. a. m. – hängen von den Stützenpositionen ab. Für die Gletscherstützen gibt es keine fixen Stützenpositionen. Durch die Gletscherbewegung driften die Stützen talwärts – zunächst nur die Stützenfüße mit ihren Fundamenten im Eis. Dadurch neigen sich die Portalstützen bergwärts und müssen periodisch durch Versetzen der Halteseilklemme talwärts wieder aufgerichtet werden. Dieser Vorgang verändert den Längenschnitt.

Die Lösung, um mit dem variablen Längenschnitt zurecht zu kommen, lag darin, obere und untere Grenzlagen für die Positionen der beiden Gletscherstützen festzulegen, für die sich sämtliche seilbahntechnischen Parameter im zulässigen Bereich befanden. Für diese Grenzlagen wurden die Längenschnittsvarianten gerechnet und dokumentiert sowie die Einhaltung der Grenzlagen als Verpflichtung in die Betriebsvorschrift aufgenommen.

Wenn sich die Gletscherstützen den unteren Grenzlagen so weit genähert haben, dass eine Überschreitung droht, werden sie wieder bergwärts in den Bereich der oberen Grenzlagen versetzt – ein gewaltiger Aufwand, bei dem mit schwerem Gerät (Bagger, Pistengeräte) aufgefahren werden muss.

Fließrichtung des Gletschers

Aus den Neigungsverhältnissen auf der Gletscheroberfläche – siehe Abb. 2 und 3 – ist ersichtlich, dass der Gletscher nicht nur in Richtung der Bahnachse talwärts fließt, sondern – in viel geringerem Ausmaß – auch bergwärts gesehen nach rechts, also von links oben nach rechts unten. Das bedeutet, dass die Rollenbatterien für das Förderseil auf dem Querhaupt der Gletscherstützen verschieblich gelagert sein müssen, um nachjustiert werden zu können (Abb. 8). Die Spurkontrolle wird von der Talstation aus mit einem Theodoliten durchgeführt. Für das Halteseil spielt die seitliche Verschiebung der Stützen keine Rolle; es wird in den geschlossenen Klemmen und Schuhen auf den Stützen sicher geführt.

Betriebsbewilligungsverfahren

Es ist klar, dass die Abnahmeprüfung für die Doppelsesselbahn Gefrorene Wand IIIa länger gedauert hat als für eine normale 08/15-Sesselbahn. Sie fand vom 21. bis 28. Oktober 1980 statt und endete erfolgreich mit der Erteilung der Betriebsbewilligung. Die Anlage stand über 30 Jahre in Betrieb – soweit ich weiß, ohne besondere Vorkommnisse – und wurde 2011 durch die weltweit erste 10er-Kabinenbahn mit Sitzheizung von Doppelmayr ersetzt – ohne Gletscherstützen und Halteseil.


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