Mit dem Bau einer Seilbahn zur Erschließung der Wurzeralm-Hochebene wurde im Jahr 1959 begonnen. Am 19. April 1962 wurde hier eine Zweiseilumlaufbahn eröffnet, die bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1978 in ihren 4er-Kabinen über 2,5 Mio. Fahrgäste befördert hat.
Standseilbahn ersetzte „Gondelbahn“
Im Zuge des Baubooms von schnellen und modernen Standseilbahnen in den 1970er Jahren wurde als sechste Anlage dieser Gattung in Österreich die Standseilbahn Wurzeralm von der Firma VÖEST Alpine gebaut und im Jahr 1978 eröffnet. Ihre 2.937 m lange Trasse verläuft auf Stahlkonstruktionen und in den lawinengefährdeten Bereichen durch drei kurze Tunnelabschnitte mit einer Gesamtlänge von 710 m. Die Tunnels wurden in offener Baugrube in Stahlbeton errichtet und nach der Fertigstellung mit dem Aushubmaterial überschüttet.
Der Antrieb wurde in der Talstation untergebracht. Dadurch können Wartungs- und später auch sämtliche Modernisierungsarbeiten auf dem Antrieb ohne Transportschwierigkeiten durchgeführt werden. Wegen dieser Antriebsanordnung verfügt die Bahn über ein oberes und ein unteres Zugseil. Das obere Zugseil wird in der Bergstation in einen Spannschacht umgelenkt und gewichtsgespannt.
Im Jahr 1978 wurde die Bahn mit einer Fahrgeschwindigkeit von 10,0 m/s eröffnet. Beide Wagen für 140+1 Personen brachten 1.250 Personen pro Stunde auf den Berg. Für einen hohen Fahrkomfort wurden in die Fahrgestelle federnde Gummielemente und hydraulische Schwingungsdämpfer eingebaut. Schon in der Bahnbeschreibung aus dem Jahr 1978 steht, dass „einer weiteren Steigerung der Fahrgeschwindigkeit von technischer Seite keine Bedenken entgegenstünden“. Für die Sicherheit sorgen robuste hydraulische, elektronisch geregelte Schienenfangbremsen mit nahezu konstanter Verzögerung bei allen Lastfällen. In der Talstation steht auf dem unteren Gleisende ein Transportwagen, der bei Bedarf an den Standseilbahnwagen angekuppelt wird und bis zu 6.500 kg Last transportieren kann.
Umbau zur schnellsten Standseilbahn der Welt
Zur Erhöhung der Förderleistung und Verfügbarkeit der Bahn wurde die Wurzeralmbahn im Jahr 1996 mit einem unabhängigen zweiten Hauptantrieb mit zwei Motoren ausgestattet. Ziel war es, die Standseilbahn als Weltneuheit erstmals mit einer Fahrgeschwindigkeit von 14 m/s zu betreiben. Der zweite Antrieb wurde spiegelbildlich zum ersten Antrieb angeordnet. Umgebaut wurde damals auch die aus zwei Scheibenbremsen bestehende Betriebsbremse, die Sicherheitsbremse wurde nicht verändert. Der Probebetrieb hat gezeigt, dass die Fahrgeschwindigkeit von 14,0 m/s (50,4 km/h) keine Probleme beim Fahrverhalten der Bahn verursacht (über die Abt´sche Ausweiche wird mit 10,0 m/s gefahren). So wurde im Dezember 1996 die Betriebsbewilligung für 14,0 m/s erteilt. Der Umbau wurde von der Firma Waagner-Biró durchgeführt.
Für die Bahn gibt es drei Betriebsarten:
- Mit Hauptantrieb Nr. 1 mit zwei Motoren mit 14,0 m/s, mit vollen Wagen (140+1 Personen) bei einer Förderleistung von 1.436 P/h.
- Mit Hauptantrieb Nr. 1 mit einem Motor mit 10,0 m/s, mit 90+1 Personen im Wagen, Förderleistung 686 P/h.
- Mit Hauptantrieb Nr. 2 mit 8,0 m/s, mit 140+1 Personen im Wagen, Förderleistung 949 P/h.
Da die Stromversorgung der Talstation durch zwei unabhängige Leitungen erfolgt und die Bahn zwei unabhängige Hauptantriebe hat, konnte auf einen Notantrieb mit Verbrennungsmotor verzichtet werden. Die Bahn ist nach wie vor die schnellste öffentliche Standseilbahn der Welt (die anderen modernen Standseilbahnen fahren höchstens mit 12,0 m/s).
Im Jahr 1999 erfolgte die Übernahme des Skigebietes durch die Vereinigten Bergbahnen der Familie Schröcksnadel. Heute beschäftigt die Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG am Standort Wurzeralm in der Wintersaison an die 50 Mitarbeiter, 20 davon ganzjährig.
Aktuelle Modernisierungen
Nach 40 Betriebsjahren wurde die Bahn schrittweise modernisiert. Nachdem im Jahr 1996 die Firma Waagner-Biró den Umbau durchgeführt hat, war es naheliegend, auch die aktuelle Modernisierung unter der Leitung von Leitner durchzuführen. Die Seilbahnsparte von Waagner-Biró ging ja in die Leitner-Gruppe auf.
Angefangen wurde mit Baugruppen, die der Fahrgast gar nicht sieht – die komplette Antriebseinheit mit zwei Hauptantrieben samt allen Motoren wurde einer Generalrevision unterzogen, die Antriebs- und Umlenkscheiben erhielten neue Lager. Die Fahrwerke wurden mit einigen Anpassungen weiterverwendet. Auch die Bremshydraulik der Schienenfangbremsen wurde erneuert.
Was die Fahrgäste hingegen auf den ersten Blick anzieht, sind die völlig neuen Wagen. Auf die neuen Wagenrahmen von Leitner hat Carvatech im Jahr 2020 zwei neue Wagen aufgebaut – in modernem Design, mit aufklappbaren Dachfenstern, mehr Sitzplätzen und mit leistungsfähigem Infotainment mit vier Bildschirmen. Besondere Aufmerksamkeit wurde bei der Bahn dem Brandschutz gewidmet. Die neu gestaltete Bahn wird mittels aktiver Brandfrüherkennung der Firma Wagner Rail geschützt. Die Ansaugrauchmelder erkennen frühzeitig feinste Rauchpartikel, sodass im Ernstfall entsprechende Gegenmaßnahmen sehr schnell eingeleitet werden können. Die verbaute Fahrzeugtechnik ist zusätzlich noch mit einer Aerosollöschanlage geschützt. Die modernisierte Wurzeralmbahn eröffnete den Bahnbetrieb mit neuen Wagen am 1. August 2020. Insgesamt hat die Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG rund 4 Mio. Euro in die Standseilbahn investiert.
Bedeutung für den Tourismus
Die neue Standseilbahn bringt Wanderer, Bergsteiger und Mountainbiker in der Urlaubsregion Pyhrn-Priel zum Ausgangspunkt ihrer Aktivitäten. Vom Singletrail Wurzeralm, von zahlreichen einfachen Wander- und Erlebniswegen für die ganze Familie bis hin zu anspruchsvollen Berg- und Kletterrouten bietet die Wurzeralm viel Abwechslung für Groß und Klein.
Im Winter ist die Wurzeralm ein Skiparadies für Anfänger, Fortgeschrittene, Snowboarder, Carver und Tiefschneefahrer. Der höchste Punkt, das Frauenkar auf 1.870 m ü. M., kann von der Standseilbahn-Bergstation aus mit einer Doppelsesselbahn erreicht werden. Die vielen Erlebnispisten mit Wellenbahn, Schlangenbahn, Speed-Strecke und einer permanenten Rennstrecke mit Zeitmessung runden das Angebot ab.
Roman Gric