Schon seit Jahren waren die vom Pardatschgrat ausgehenden Pisten durch die alte 4er-Kabinenbahn in zwei Teilstrecken nur mehr unzureichend erschlossen. Aus diesem Grund hat sich die Silvrettaseilbahn AG im Jahr 2012 für den Bau einer 3S-Bahn in einer Teilstrecke vom östlichen Ortskern direkt auf den Pardatschgrat entschieden. Das bedeutete einen Höhenunterschied von 1.251 m – ein neuer Weltrekord für 3S-Bahnen. Die 1. Teilstrecke der alten Pardatschgratbahn wurde abgerissen, die 2. Teilstrecke steht nun für Wiederholungsfahrten vom Pardatschgrat bis zur alten Mittelstation zur Verfügung. Es gab noch einen weiteren wichtigen Grund für den Neubau: Die Trasse liegt sehr exponiert, sodass der Betrieb der alten Bahn an 10 bis 20 Tagen pro Saison windbedingt eingestellt werden musste. Das ist mit der 3S-Bahn Vergangenheit. Die Passagiere kommen nahezu bei jedem Wind und Wetter verlässlich ans Ziel.
Bautechnik
In Bezug auf Architektur und Technik ist die neue Pardatschgratbahn ein Projekt mit sehr hohem Prestigewert: In Ischgl übertreffen der Luxus der Stationsbauwerke und die Hightech-Elemente der neuen 3S-Bahn alle bisherigen Anlagen dieser Art.
Beim Bau der Stationen gab es große Herausforderungen, die die Fachleute von Doppelmayr jedoch mit langjähriger Erfahrung und speziellen konstruktiven Lösungen gemeistert haben: Die Planung der Talstation gestaltete sich wegen der beengten Platzverhältnisse als schwierig. So wurde auf eine Lösung zurückgegriffen, die bereits in Sochi erfolgreich angewandt worden war: Der vollautomatische Kabinenbahnhof wurde im Keller der Station angeordnet; die Kabinen gelangen mit Hilfe eines Vertikalförderers in die Station. Für Ischgl hat Doppelmayr in Kooperation mit der Firma LTW Intralogistics den Hightech-Aufzug noch für eine weitere Funktion fit gemacht: Auf einer dritten Ebene können Waren direkt angeliefert werden. Weiters muss zur Wartung der Kabinen die Hauptbahn nicht in Betrieb gesetzt werden – die Fahrzeuge werden automatisch zur Wartungsplattform gebracht.
Bei der Bergstation gab es die schon von der alten Pardatschgratbahn bekannten Probleme mit der Bauwerksfundierung im Permafrostboden. Mit der unvermeidlichen Temperaturänderung im Baugrund kann es mittel- und langfristig zu Setzungen kommen, die durch geeignete Maßnahmen kompensiert werden müssen. Bei der Gaislachkoglbahn in Sölden hat man das Problem dadurch gelöst, dass man die Fundamente für das Stationsbauwerk von den tiefen Pfeilerfundamenten zur Aufnahme der Horizontalkräfte aus den Seilspannkräften bautechnisch getrennt hat. Hier in Ischgl gab es im Stationsbereich keine Möglichkeit, die Seilspannkräfte in den Boden einzuleiten. Die gesamte Station wurde daher mit vier Spanngliedern an einem separaten Fundamentblock verankert, der 150 m hinter der Station liegt und die Horizontalkräfte aus den Seilspannkräften aufnimmt. Er ist mit der Station durch einen Tunnel mit 2,5 m Durchmesser verbunden, in dem die Spannglieder und sonstige Leitungen übersichtlich geführt sind.
Der Stahlbetonrahmen des Stationsgebäudes ist beweglich gelagert: In jedem Betonpfeiler gibt es um Fuß eine Öffnung, in die ein Hydraulikstempel eingesetzt werden kann. Damit kann die gesamte Station bei Bedarf hydraulisch angehoben werden.
Seilbahntechnik
Die Seilbahntechnik der 3S-Bahnen von Doppelmayr kann mittlerweile als weitgehend bekannt vorausgesetzt werden. Als Besonderheit wurde in Ischgl die erforderliche Sicherheitsstrecke bei der Stationsausfahrt in die Station hineinverlegt, um eine zu hohe Stütze vor der Bergstation und eine hohe Seilführung in diesem Bereich zu vermeiden. Die für das System der integrierten Räumung – auch als integrierte Bergung bezeichnet – erforderlichen Einrichtungen, z. B. ein unabhängiger Notantrieb an der Zugseil-Umlenkscheibe in der Gegenstation, sind bei 3S-Bahnen von Doppelmayr bereits Standard.
Kabine „Taris“ für Ischgl
Das neue und modular aufgebaute Kabinenmodell Taris hat CWA eigens für 3S-, Pendelbahnen und Funitels entwickelt. Das Modell fällt speziell durch das innovative Design auf und ist für bis zu 45 Personen (alle stehend), bzw. für 28 Sitzplätze – wie in Ischgl – ausgelegt. Besonders komfortabel gestaltet sich bei der Taris der Einstieg: Die automatischen Schiebetüren haben eine Öffnungsbreite von 1,50 m – größer als bei herkömmlichen Modellen, was das rasche Zusteigen erleichtert. Die Kabinen für die Pardatschgratbahn sind in einem speziell kreierten rot-schwarz-weißen Design, den Farben von Ischgl, gehalten.
Selbst das Laufwerk und Gehänge wurden in das Farb-Design einbezogen.
Auch innen überzeugt das neue Kabinenmodell: In Ischgl beeindruckt das Interieur durch die indirekte Beleuchtung sowie durch WLAN und Einsprecheinrichtung. Dafür und für die Sitzheizung bedurfte es einer permanenten Stromversorgung, die hier nicht über Batterien, sondern über Generatoren im Laufwerk erfolgt: Drei der acht Laufwerksrollen enthalten dreiphasige AC-Generatoren mit Permanenterregung. Diese Art der Stromerzeugung ist zwar nicht neu, erforderte aber die Entwicklung eines ganz speziellen Energiemanagementsystems für die Kabinen.
Bewährte Langzeitpartnerschaft
Sowohl Hannes Parth, Vorstand der Silvrettaseilbahn AG, als auch Egon Böhler, Projektverantwortlicher für die Pardatschgratbahn bei Doppelmayr, betonen die seit 50 Jahren bestehende Partnerschaft zwischen Seilbahnunternehmen und Seilbahnhersteller. Beide sind überzeugt, dass das gegenseitige Vertrauen eine unverzichtbare Voraussetzung für das Entstehen solcher beeindruckenden Anlagen wie die 3S-Pardatschgratbahn ist.
Bewährungsprobe bestanden
Die erste Betriebssaison hat die neue Pardatschgratbahn in Ischgl erfolgreich bestanden. Viele Fachleute aus der Branche ließen es sich nicht nehmen, die Anlage im Winter zu besuchen, so z. B. Ing. Manfred Handler, langjähriger technischer Direktor der Arlberger Bergbahnen und heute tätig als Gerichtssachverständiger für Seilbahnen und andere technische Bereiche. Nach einer genauen „Inspektion“ der Anlage und zahlreichen Gesprächen ist er voll des Lobes: „Die 3S-Pardatschgratbahn präsentiert sich in Bezug auf Innovationen, technische Präzision, Kundenorientierung, vernetztes Teamwork, Logistik, Umgang mit dem Permafrost, Anpassung an Anrainervorgaben, Einfügung ins Ortsbild und Symbiose des Eigners mit dem Seilbahnhersteller als weltmeisterlich. Es wurde ein weiterer Meilenstein im Seilbahnbau für den Hochleistungs-Personentransport im Wintersport und urbanen Verkehr für die Überwindung großer Entfernungen und großen Höhenunterschieden in windsicherer Ausführung mit ökonomischem Energieaufwand gesetzt.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Josef Nejez