Problemstellung
In den hochbautechnischen Sicherheitsanalysen (§ 57 SeilbG 2003) werden oftmals wiederholt die bautechnischen Bestimmungen der Länder (z.B. TBV) aber auch die gemäß diesen Landesgesetzen dem Baurecht zuzuordnenden weiteren Rechtsnormen (z.B. Aufzugsgesetze) als Grundlage zitiert. Die Anwendung des jeweiligen Landesbaurechts ist jedoch
a) nicht schlüssig und plausibel;
b) zu anderen Dokumenten im Bauentwurf widersprüchlich (z.B. Sicherheitsanalysen gem. § 57 SeilbG 2003 in den Bereichen Seilbahntechnik – Infrastruktur, Arbeitnehmerschutz, Brandschutz);
c) per se kompliziert, da keine Einheitlichkeit gegeben ist; d) nicht der Rechtssicherheit dienlich.
In den Sicherheitsberichten werden die in den Gutachten zu den jeweiligen Sicherheitsanalysen enthaltenen, als erforderlich erachteten Maßnahmen übernommen, ohne auf die gesamthafte Schlüssigkeit und Plausibilität zu achten.
Anzumerken ist, dass in den Verfahren nach EisbG 1957 ein ähnliches Modell der Beurteilung von Bauentwürfen vorliegt (Gutachten nach § 31a EisbG 1957, Sicherheitsanalyse und –bericht gem. §§ 57 bis 60 SeilbG 2003), in diesen Verfahren jedoch das Landesbaurecht nicht angewandt wird, da es eine durch das BMVIT veröffentliche Sammlung der Regeln der Technik gibt. Sowohl SeilbG2003 als auch EisbG 1957 passieren auf den selben kompetenzrechtlichen Grundlagen, weshalb aus sachverständiger Sicht nicht nachvollziehbar ist, weshalb für die Regelung des selben Gegenstandes (hochbauliche Anlagen) bei der Anwendung dieser Gesetze komplett unterschiedliche technische Bestimmungen angewandt werden sollen.
Insbesondere ergeben sich daher aus Sicht des Sachverständigen folgende Fragestellungen:
a) Kann im seilbahnrechtlichen Verfahren die Anwendung des Landesbaurechts durch die Anwendung anderer – i.d.R. bundesrechtlicher Bestimmungen –substituiert werden?
b) Durch welche Normen (Rechtsnormen, technische Normen) ist der Stand der Technik im Seilbahnwesen betreffend hochbaulicher Anlagen gegeben?
Analyse des Problems
Die Lösung des Problems ist nicht einfach, da das Baurecht in Österreich als eigenständige Kompetenz (Art. 10 bis Art. 15 BV-G) nicht definiert ist und sich aus den Wesen der Gesetze ergibt, dass Baurecht sowohl auf Landesebene (allgemeines Baurecht) als auch auf Bundesebene vorliegt, wobei als Indiz der Einordnung eines Gesetzes in den Bereich des Baurechts die Tatsache einer Baugenehmigung angenommen wird (§ 36 SeilbG 2003). Aus diesem Blickwinkel ist das SeilbG 2003 dem Baurecht zuzuordnen und es sind neben den spezifischen normativen Bestimmungen (z.B. europäische Seilbahnnormen) auch die allgemeinen Regeln der Bautechnik anzuwenden.
Anders jedoch als im allgemeinen Baurecht der Länder enthalten die dem Baurecht zuordenbaren Bundesgesetze keinerlei bautechnische Bestimmungen und es liegen auch im seltensten Fallrechtsverbindliche Vorschriften (z.B. im Verordnungswege, als Verzeichnisse und Normensammlungen) vor, die bautechnische Detailbestimmungen enthalten. Bautechnische Detailbestimmungen finden sich jedoch in Rechtsnormendes Arbeitnehmerschutzes wieder – insbesondere in den gem. ASchG erlassenen Verordnungen des technischen Arbeitnehmerschutzes (z.B. AStV).
Zu Fragestellung a: Durch eine vergleichende Analyse der bautechnischen Bestimmungen des Baurechts mit den Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzrechtes lässt sich nachweisen, dass alle technischen Regelungsgegenstände des Baurechts durch entsprechende Bestimmungen, z.B. in der AStV, abgedeckt sind. Die Analyse wurde exemplarisch an Hand des Tiroler Baurechts durchgeführt. Insbesondere die technischen Bauvorschriften entsprechend TBV 2008 können direkt den bundesrechtlichen Bestimmungen der AStV gegenübergestellt werden.
Aus o.a. Tabelle ist ersichtlich, dass die bautechnischen Bestimmungen der Landesbauordnungen entsprechende gleichlautende Bestimmungen im Arbeitnehmerschutzrecht haben, wobei die in der Tabelle angegebene Gegenüberstellung exemplarisch und nicht vollständig ist. Ähnliche Befunde ergeben sich beider Analyse der technischen Bauvorschriften weiterer Bundesländer (z.B. Vbg.BTV, Sbg. BauTG, Stmk. BauG). Aus der Analyse konkreter Bestimmungen des Baurechts und des technischen Arbeitnehmerschutzrechtes lässt sich zeigen, dass die Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzrechtes konkreter sind als die Bestimmungen des Baurechts. Exemplarisch sei dies an Hand einiger Bestimmungengem. o.a. Tabelle dargestellt.
• Betreffend Verkehrswege werden in §§ 23 bis 25 TBV 2008 ausreichende Regelungen getroffen, wobei keine entsprechenden Abmessungen für Verkehrswege angegeben sind. Dem gegenüber stehen ausreichende Regelungen in § 2 bis 4 AStV. §§ 2 AStV regelt die Breite von Verkehrswegen, § 3AStV gibt detaillierte Bestimmungen für Ausgänge und § 4 AStV detaillierte Bestimmungen für Treppen an, während z.B. § 25 Abs.2 TBV 2008 eher abstrakt für Treppen fordert, dass diese entsprechend dem Verwendungszweck der baulichen Anlage so zu bemessen und auszuführen sind, dass sie sicherund bequem benutzt werden können.
• Betreffend Raumhöhen gibt § 21 Abs. 2 TBV 2008 lediglich an, dass die Raumhöhe so bemessen sein muss, dass entsprechend dem Verwendungszweck der Räume ein zum Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen ausreichendes Luftvolumen gewährleistet ist, während in § 23 AStV die erforderlichen Mindestraumhöhen in Abhängigkeit der Raumnutzungund der Raumgröße eindeutig festgelegt sind. Die in § 23 AStV angegebene Mindestraumhöhe von 3,0 m die zulässigen Reduktionen auf 2,8 m bzw. auf 2,5 m deckt sich auch mit der Bestimmung in ÖNORM EN 12929-1, Pkt.11.1.5, in dem eine Raumhöhe von mindestens 2,5 m gefordert ist.
• Betreffend Belichtung stellt § 19 Abs. 1 TBV 2008 fest, dass Aufenthaltsräume über eine für den Schutz der Gesundheit und des Wohlbefindens von Menschen ausreichende natürliche Belichtung verfügen müssen, sofern nicht aufgrund ihres besonderen Verwendungszweckes eine ausschließlich künstliche Beleuchtung ausreichend ist. Betreffend Beleuchtung wird in § 19 Abs. 2 TBV2008 angegeben, dass alle Räume und allgemein zugänglichen Bereiche in baulichen Anlagen ihrem Verwendungszweck entsprechend beleuchtbar sein müssen. Dieser abstrakten Bestimmung steht in §§ 5, 25 und 29 AStV die konkrete Vorschrift einer Fensteröffnung für Belichtung und Belüftung gegenüber. Die künstliche Beleuchtung wird in der AStV mit Mindestwerten definiert. Detaillierte Regelungen sind in ÖNORM 12464-1 und ÖNORM EN12464-2 gegeben.
• Die Anforderungen an Fluchtwege werden in § 7 Abs. 1 TBV 2008 abstrakt durch die Bestimmung geregelt, dass bauliche Anlagen so geplant und ausgeführt sein müssen, dass die Menschen, die sich in der baulichen Anlage aufhalten, diese im Brandfall rasch und sicher verlassen oder durch andere Maßnahmen gerettet werden können. Des Weiteren wird in § 7 Abs. 3 in relativ abstrakter Art und Weise die Beschaffenheit der Fluchtwege hinsichtlich Baustoffe und Brandverhalten geregelt. §§ 16 bis 22 AStV gibt hingegen detaillierte Bestimmungen hinsichtlich der Gestaltung von Fluchtwegen und gesicherten Fluchtbereichen an.
zu Fragestellung b: Die technischen Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzrechtes stellen zweifelsohne bautechnische Bestimmungen dar, die die technischen Bestimmungen der einzelnen Landesbauordnungen substituieren. Jedoch ist dies nicht erschöpfend, da technische Details zusätzlich in Normen geregelt werden. Neben den europäischen Seilbahnnormen und den in diesen Dokumentennormativ verwiesenen Normen des konstruktiven Ingenieurbaus gelten noch weitere Normen und Regeln als erforderlich anwendbare Regeln der Technik in der Planung und Bemessung von Trag- und Bauwerken der hochbaulichen Anlagen bei Seilbahnen.
Neben den Normen sind insbesondere die Richtliniendes Österreichischen Institutes für Bautechnik (OIB-RL) von Bedeutung, da diese die technischen Bestimmungen in den Landesbauordnungen ersetzen und als österreichische harmonisierte Regeln der Technik des Bauwesens anzusehensind.
Lösung
Die dzt. Lösung, subsidiär die technischen Bestimmungen der Landesbauordnungen heranzuziehen ist nicht plausibel, da neben den bautechnischen Bestimmungen der Landesbauordnungen auch bautechnische Bestimmungen in Bundesgesetzen bestehen (vorzugsweise ASchG, AStV, AM-VO). Da es kein einheitliches Bundesbaurecht gibt bzw. technische Bestimmungen für durch Bundesgesetze geregelte Bauverfahren fehlen, wäre der Stand der Technik an Hand der bestehenden gesetzlich anwendbaren Bestimmungen festzulegen:
• Konsequente Anwendung der OIB-Richtlinien nicht nur im Bereich der statischkonstruktiven Durchbildung der Tragwerke, sondern auch in bauphysikalischen Belangen, Belangen des baulichen Brandschutzes und der Nutzungssicherheit.
• Anwendung der ASV als Richtlinie für Aufzüge und der MSV als Richtlinie für Rolltreppen, wobei auf die in diesen Verordnungen verbindlich erklärten Regeln der Technik (z.B. ÖNORM EN 81, ÖNORM EN 115) verwiesenen wird.
• Anwendung der AStV als bautechnische Vorschriften, wobei dieser Weg bereits in der Richtlinie R11 des VAI vorgezeigt wird. Das Dokument R11 des VAI als Sammlung bautechnischer Bestimmungen deckt in konsolidierter Fassung im Zusammenhang mit den Seilbahnnormen und den OIB-Richtlinien alle bautechnischen Bestimmungen ab und kann als Dokument zur Schaffung von Rechtssicherheit gesehen werden, da bei konsequenter Anwendung dieser dokumentierten Bestimmungen die subsidiäre Anwendungdes jeweiligen Landesbaurechts gänzlich entfallen kann.
Zu Fragestellung a (Subsituierung der bautechnischen Bestimmungen der Landesbauordnungen) wird auf Grund des o.a. Nachweises festgehalten, dass der Ersatz der bautechnischen Bestimmungen des Landesbaurechts durch Anwendung der AStV, der europäischen Normen des konstruktiven Ingenieurbaus und der OIB-Richtlinien unter Wahrung der Rechtssicherheit und Abdeckung aller bautechnischen Belange möglich ist. Hinsichtlich Fragestellung b (Angabe der normativen Bestimmungen) wird auf §§ 78 bis 80 SeilbG 2003 (insbesondere europäische Seilbahnnormen, Eurocode) und die im Dokument R11 des VAI dokumentierte Sammlung der Rechtsnormendes technischen Arbeitnehmerschutzes verwiesen. Alle zitierten Dokumente sind idgF zu verstehen.
Dipl.-Ing. Walter Sedlacek - Seilbahntechniker BMVIT