Eine Seilbahn zum Wiener Hausberg
Im traditionsreichen Fremdenverkehrsort Reichenau an der Rax , wo viele Wiener ihre „Sommerfrische“ verbrachten, war der Gedanke naheliegend, eine technische Aufstiegshilfe auf das Raxplateau zu errichten. Schon im Jahr 1913 wurde dem Maschinenbauingenieur Dr. Walter Conrad die Bewilligung vom Eisenbahnministerium erteilt, technische Vorarbeiten für den Bau einer Seilbahn von Hirschwang auf das Raxplateau durchzuführen. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges brachte dieses Projekt vorerst zum Scheitern. Die Idee selbst überdauerte jedoch den Krieg und wurde in den Zwanzigerjahren erneut aufgegriffen. Im Sommer des Jahres 1924 erhielten die Konzessionserwerber eine Bewilligung zur Vornahme von Trassierungsarbeiten für die projektierte Seilschwebebahn auf die Raxalpe. Es gab auch Seilbahngegner, die vor allem die angebliche Verschlechterung der Quellwasserqualität des im Raxgebiet entspringenden Teiles der Ersten Wiener Hochquellenwasserleitung befürchteten.
Schließlich wurde im August 1925 die Baubewilligung erteilt und bereits am 9. Juni 1926 konnte die nach dem neuen System „Bleichert-Zuegg“ erbaute Raxseilbahn als erste Personen-Seilschwebebahn der Republik Österreich*) dem öffentlichen Verkehr übergeben werden.
Seilbahntechnik anno 1926
Gebaut wurde die Raxseilbahn von der damals führenden Seilbahnbaufirma Bleichert aus Leipzig nach dem System Bleichert-Zuegg als klassische Pendelbahn mit einem Trag-, einem Zug- und einem Hilfsseil pro Fahrbahn. Der Antrieb befand sich in der Bergstation, die Trag- und Zugseilspanngewichte waren im Tal. An der Trasse wurden fünf Stützen, von den die Stützen Nr. 1, 4 und 5 als Portalstützen (auch als „Torstützen“ bezeichnet) und die Stützen Nr. 2 und 3 als klassische Fachwerkstützen (auch „Turmstützen“ genannt) gebaut. Der Bau der Portalstützen in der Nähe beider Stationen war wegen der geringen Spurweite in den Stationen nötig, da dort der Bau von Stützen mit zentralem Schaft nicht möglich war.
Raxseilbahn im Wandel der Zeit
Die gute Besucherfrequenz in den ersten Jahren nach der Inbetriebnahme der Bahn gab den Erbauern recht. Die Beliebtheit des Raxgebietes und Reichenaus brachte viele Gäste in das bekannte Erholungsgebiet.
Die alte Seilbahn hatte eine Besonderheit – die Sommerkabine, die anstelle der Außenwände eine Reling und ein offenes Dach hatte, welches mit einer Zeltplane bedeckt werden konnte.
Nach dem Krieg reichte die niedrige Förderleistung der Bahn von etwa 230 P/h in den Stoßzeiten nicht mehr aus und so wurden im Jahr 1947 die ursprünglichen 24er-Kabinen durch Leichtmetallkabinen mit einem Fassungsvermögen von 36 Personen ersetzt. Die erwünschte Erhöhung der Förderleistung konnte jedoch erst einige Jahre später nach dem Ersatz des ursprünglichen Antriebes durch stärkere Aggregate erzielt werden.
Wegen des Einsatzes von breiteren Kabinen wurden beide Stationen im Laufe der Umbauarbeiten mit Schiebebahnsteigen ausgestattet. Eine Aufzählung aller Umbau- und Modernisierungsarbeiten, die seit dem 2. Weltkrieg an der Bahn umgesetzt worden sind, würde den Umfang dieses Berichtes sprengen. Von der alten Bahn sind bis heute nur noch die Grundmauern der Stationsgebäude und die Stützentragwerke übriggeblieben.
Familie Scharfegger
Der Familie des erfolgreichen Tourismus-Unternehmers Fritz Scharfegger ist es zu danken, dass die Raxseilbahn heute noch existiert. Als die Bahn 1983 vor dem Bankrott stand, übernahm er einen Teil der Gesellschaftsanteile und wurde auch Geschäftsführer. Später erwarb die Familie Scharfegger die restlichen Gesellschaftsanteile und wurde zum Alleinbesitzer der Bahn. Seitdem wurde die Bahn bereits mehrmals modernisiert.
Im Jahr 1990 ist es gelungen, ein 20-kV-Netzkabel bis zur Bergstation und weiter bis zum Ottohaus zu verlegen. Bis dahin wurde die Bahn und weitere Betriebe am Berg dieselelektrisch betrieben, was neben dem Verbrauch von etwa 19.000 l Dieselöl jährlich auch eine Umweltbelastung darstellte.
Umbau 2016
Der aktuelle Umbau wurde im Rahmen des Konzessionsverlängerungsverfahrens beschlossen. Den Auftrag für die Bahnerneuerung konnte die Firma Leitner ropeways im August 2015 gewinnen, die Umbauarbeiten wurden zwischen November 2015 und Juni 2016 realisiert. Sämtliche Projektierungs- und mechanischen Konstruktionsarbeiten wurden in Wien umgesetzt, die Elektrik stammt von der Leitner AG in Sterzing. Das Herzstück der erneuerten Pendelbahn bildet das neu entwickelte und zertifizierte 8-rollige Laufwerk. Bei der Entwicklung des Laufwerks wurde neben einer Funktionalitäts-, Gewichts- und Kostenoptimierung auch Augenmerk darauf gelegt, dass dieses durch leichte Anpassungen für weitere Bahnerneuerungen, so wie sie in den nächsten Jahren bei vielen Pendelbahnen in Österreich und anderen Ländern anstehen, eingesetzt werden kann.
Weiters wurde der Hauptantrieb der Anlage teilweise erneuert und zertifiziert. Für die Steuerung des Antriebs wurden die ebenfalls in Wien entwickelten modularen LeitDrive-Frequenzumrichter eingesetzt.
Dem Stand der Technik entsprechend wurde die Bahn auch mit einem autarken Notantrieb ausgerüstet. Auch die Kabinen aus dem Jahr 2002 wurden beim Hersteller, der Firma Carvatech, generalüberholt.
Seit Juli 2016 ist die um rund 3,2 Mio. Euro erneuerte Raxseilbahn wieder im Vollbetrieb. Am 12. Oktober 2016 wurde der bereits hunderttausendste Fahrgast der heurigen Sommersaison begrüßt.
*) Die älteste Personenseilbahn in Alt-Österreich war die Kohlernbahn in Bozen, Baujahr 1908, Umbau 2013, gefolgt mit der 1912 eröffneten Vigiljochbahn in Lana. Beide Bahnen wurden nach den alten Vorschriften mit geringer Tragseilspannkraft und dementsprechend mit vielen Stützen gebaut. Erst an der nach den Plänen von Ing. Luis Zuegg im Jahr 1923 gebauten Pendelbahn Meran – Hafling wurden die im Grundprinzip bis heute gültige Regeln verwendet, vor allem die größere Tragseilspannkraft.