Hauptsächlich geht es dabei um die strategische Bedeutung von Spitzen-Architektur am Berg, und um die Gründe, warum asiatische Ausflugsgäste weiterhin der Wachstumstreiber für den Titlis sein werden.
ISR: Herr Patt, der über 3.000 m hohe Titlis ist einer der bekanntesten Schweizer Ausflugsberge. Nun investieren die Titlis Bergbahnen rund 110 Mio. Schweizer Franken in die Neugestaltung des Gipfel-Bereichs. Was wird Besuchern künftig geboten?
Norbert Patt: Das gesamte Projekt trägt den Namen Titlis 3020 und umfasst drei Hauptelemente: den Neubau der Bergstation der Rotair-Pendelbahn, den Umbau des weithin sichtbaren Richtfunkturms mit zwei neuen Restaurantbetrieben und den Bau einer zweiten Pendelbahn für Materialtransporte und als „Back-up“, wenn die bestehende Pendelbahn in Revision ist oder einmal ausfallen sollte.
ISR: Wie ist bei Titlis 3020 der gegenwärtige Stand der Dinge und in welchem Zeitrahmen soll Titlis 3020fertiggestellt werden?
Mittlerweile haben wir die meisten behördlichen Genehmigungen erhalten. Nach einer Corona-bedingten Unterbrechung haben wir das Planungsteam wieder mobilisiert, unser Verwaltungsrat hat Vorbereitungsarbeiten speziell für den Bau der zusätzlichen Pendelbahn Linie II freigegeben. Wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen, sollte Titlis3020 im Jahr 2028 fertiggestellt sein.
ISR: Eine Schlüsselrolle bei Titlis 3020 spielt Architektur …
Norbert Patt: Ja, und zwar von Anfang an. Als klar wurde, dass wir die bestehende Bergstation – die seit 1967 nach und nach erweitert wurde – erneuern müssen, haben wir das weltbekannte Architekturbüro Herzog & de Meuron 2017 mit der Erstellung eines Masterplans zur Gestaltung des Gipfelbereichs beauftragt. Herzog und de Meuron haben unter anderem Gebäude wie die Elbphilharmonie in Hamburg oder der Allianz-Arena in München geplant. Die Bergstation und der Richtfunkturm werden nach der Fertigstellung an einen liegenden und einen stehenden Bergkristall erinnern. Die gesamten Planungskosten für Titlis 3020 belaufen sich bis heute auf 15 Mio. CHF.
ISR: Wie kann sich die Investition in Spitzenarchitektur für ein Bergbahn-Unternehmen rechnen?
Norbert Patt: Architektur ist für uns strategisch extrem wichtig geworden. Auch deshalb, weil unser Berg jährlich von rund 1,2 Mio. Besuchern frequentiert wird. Bei einer angenommenen Nutzungsdauer der Gebäude von 30 Jahren sind das insgesamt 30 bis 36 Mio. Menschen. Bei diesen können wir mit Hilfe von Spitzenarchitektur einen bleibenden Eindruck hinterlassen, von dem sie hoffentlich auch anderen berichten. Mit Titlis 3020 bekommt der Berg für unsere Besucher eine ganz andere Dimension, wobei entscheidend ist, dass Architektur nicht „aufgesetzt“ wirken darf. Richtig gemacht sind wir davon überzeugt, dass Weltklasse-Architektur dazu beiträgt, unser Produkt und unsere Destination in die „Champions League“ zu katapultieren. Dies betrifft auch den ganzen Bereich Nachhaltigkeit: Mit Titlis 3020 werden wir den CO2-Ausstoß in der Bergstation um 95 % reduzieren, entsprechend niedrig wird auch unser Verbrauch von fossilen Energieträgern sein.
ISR: Der Titlis als Ausflugsberg ist speziell bei asiatischen Gästen überaus beliebt. Gleichzeitig gibt es in manchen Bereichen einen Trend in Richtung „Ent-Globalisierung“. Macht es Sinn, in Europa weiterhin auf internationale Gäste zu setzen?
Norbert Patt: Rund 70 % unserer Gäste sind Ausflugs-Touristen, etwa 30 % Wintersportler, viele davon aus der Schweiz, aber auch aus skandinavischen Ländern und aus den Benelux-Staaten. Mit den Wintersportlern aus der Schweiz und aus den EU-Ländern haben wir eine solide und verlässliche Basis, das Wachstum spielt sich aber im Bereich der internationalen Gäste ab. 80 % der Ausflugsgäste kommen heute aus Übersee, speziell aus China, Indien und südost-asiatischen Staaten. Besonders seit 2010 hat ihr Anteil stark zugenommen. Dies liegt unter anderem daran, dass die Mittelschicht, die sich das Reisen leisten kann, in diesen Ländern stark zunimmt. Würden wir versuchen, unsere internationalen Gäste durch Einheimische zu ersetzen, müsste jeder Schweizer mindestens einmal in fünf Jahren zu uns kommen. Das ist beim Ausflugstourismus unrealistisch: Wir leben von immer neuen Gästen, die wenigsten Menschen fahren ja auch drei Mal hintereinander zum Eiffelturm.
ISR: Nach Corona und anderen Krisen befürchten Sie keine längerfristigen Auswirkungen auf die internationalen Reiseströme?
Norbert Patt: Wir haben uns anlässlich der Pandemie zwei grundlegende Fragen gestellt: Erstens: Werden die Menschen international wieder reisen, wenn dies möglich ist? Und Zweitens: Wie stark ist die Anziehungskraft, die Berge auf Menschen ausüben? Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Bedürfnis zu Reisen immer da sein wird, und dass die Berge mit ihrer „Erhabenheit“ eine unglaubliche Faszination auf Menschen ausüben. Das Bedürfnis Berge zu erleben ist ähnlich stark ausgeprägt wie der Wunsch vieler Menschen, mindestens einmal im Leben das Meer zu sehen. Wann immer es möglich ist zu reisen, tun dies Menschen auch.
ISR: Zum Skitourismus: Die Titlis Bergbahnen haben in der Saison 2021/22 erstmals „Dynamic Pricing“ eingeführt. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Norbert Patt: Durchwegs sehr gute. Im Schnitt konnten wir dadurch unsere Einnahmen beim Ticketverkauf um 10 % erhöhen. Ein Vorteil von Dynamic Princing ist, dass man damit sowohl sehr preisbewusste Menschen ansprechen kann, aber auch jene, bei denen der Preis eine eher untergeordnete Rolle spielt und andere Faktoren wichtiger sind. Reklamationen nach der Einführung von Dynamic Princing hat es zwar gegeben, aber die hielten sich stark in Grenzen. Der Aufschrei von Gästen nach einer Erhöhung der Parkplatz-Gebühren war deutlich höher.
ISR: Die Titlis Bergbahnen – genauer gesagt die Bergbahnen Engelberg Trübsee Titlis AG – ist an der Schweizer Börse SIX notiert, die Aktien sind frei handelbar. Wie wirkt sich das auf ihre Geschäftstätigkeit aus?
Norbert Patt: In vielen Ländern wurden Seilbahnunternehmen durch die Beteiligung der öffentlichen Hand gegründet, werden subventioniert oder sind im Besitz von lokalen Hoteliers. Bei uns gibt es so etwas wie „Umwegrentabilität“ nicht. Der größte Einzelaktionär der Titlis Bergbahnen hält etwas mehr als 12 % der Aktien, danach kommt der Ort Engelberg mit etwas mehr als 3 %. Der Rest ist im Streubesitz, und unsere rund 5.000 Aktionäre erwarten von uns, dass wir Geld verdienen. Das machen wir mit dem Transport von Menschen. Unsere Aktivitäten im Bereich Gastronomie und Hotellerie dienen vor allem dazu, die Besucherzahlen im Bereich der Seilbahn zu erhöhen und den Ticket-Verkauf anzukurbeln. Selbiges gilt natürlich auch für unser Projekt Titlis 3020.
ISR: Wir danken für das Gespräch!
Dieter Krestel
Das Interview wurde am 10. März 2022 geführt.