Sommer am Berg

"Seilbahnwirtschaft ist Innovationskraft der Berge"

Prof. Mag. Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien im ISR-Interview:

Wo steht „Sommer am Berg“ Ihrer Ansicht nach im Urlaubsranking der Österreicher im Vergleich zu Städtetourismus und Meerurlaub?
Genau dazwischen. Der „Sommer am Berg“ hat nicht die Anziehungskraft des Urlaubs am Meer. Das ist für die Mehrheit der Österreicher – fast zwei Drittel – der eigentliche Haupturlaubswunsch. Aber ein gutes Drittel verbringt den Urlaub sehr gerne in Österreich, und das heißt bei uns automatisch im Zusammenhang mit Seen und Bergen. Diese Kombination ist den Menschen besonders wichtig. Diese Kombination ist sehr gefragt und zunehmend auch für unsere Gäste aus den Nachbarstaaten ein wichtiger Angebotsfaktor. Meistens als Zweiturlaub oder als Kurzurlaub. Im Sommer geht der Trend Richtung Zweiturlaub bzw. Kurzurlaub – auf die diese Mehrbeanspruchung müssen wir uns einstellen. Die Nachfrage nach einer Erlebnisdichte, die man in dieser kurzen Zeit genießen möchte, steigt, und da spielen die Bergbahnen natürlich eine besondere Rolle.

Welchen Trend gibt es generell im Freizeitverhalten von Herrn und Frau Österreicher im Sommer?
Also dazu muss man sagen, dass das Freizeitverhalten im Allgemeinen viel weniger Schwankungen und Veränderungen unterworfen ist als wir in der Lifestyle-Berichterstattung oft wahrnehmen. Wir sind Gewohnheitstiere. Einmal im Jugendalter angewöhnte Freizeitaktivitäten verfestigen sich, bei dem bleibt man. Es werden aus Sportlern keine Kulturmenschen oder umgekehrt. 90 % unseres Freizeitverhaltens ist passiver Medienkonsum, also Fernsehen, Radio, Zeitung lesen. Dazu kommt mit der Familie plaudern. Das wird nur oft übersehen, weil es ja nichts Sensationelles und Herzeigbares ist.
Das große Erlebnis „Outdoor“ ist quantitativ im Alltag der Menschen die Ausnahme. Insgesamt macht das aber jeder irgendwann einmal. Der Trend diesbezüglich ist „Natur und Outdoor“. Damit ist allerdings nicht gemeint in der Wiese zu liegen und die Seele baumeln zu lassen. Mittlerweile spielt die Inszenierung des Urlaubsalltags – das heißt nicht unbedingt jetzt die großen Events, aber die Liebe zum Detail – eine wichtige Rolle. Das beginnt bei der Information beim Frühstück, bei gut markierten Wanderwegen und bei gut beschriebenen Outdoor-Möglichkeiten. Der Zugang muss einfach sein. Man hat in diesen drei, vier Tagen nicht die Zeit sich an Informationsbüros zu wenden oder Prospekte zu studieren. Also diese Inszenierung des kleinen Urlaubsalltags mit den kleinen Details, insbesondere die Information, wie finde ich es, was ist los, wie kann ich es erreichen, was kostet es. Das sind die Dinge, bei denen beim Sommerangebot Berg noch Nachholbedarf besteht. So banal das klingt, aber es sind eben nicht die großen Investitionen, es sind die kleinen Dinge des Urlaubsalltags, bei denen wir noch mehr Dienstleister, noch mehr Gastgeber werden müssen.

Wie ließe sich Ihrer Meinung nach der Sommerurlaub besser mit Sport verquicken? Welche Art von Awareness-Maßnahmen würden Sie der Tourismusindustrie vorschlagen?
Das ist kein Widerspruch. Also dieses Erholen und Ausspannen mit Erlebnis zu verbinden ist nur scheinbar ein Widerspruch. Es geht vielmehr um die Emotion. Dieser Wechsel von „jetzt lass ich es mir einen halben Tag lang gut gehen, aber dann gegen Abend oder am nächsten Vormittag will man schon etwas erleben“ spielt eine große Rolle. Eine Fahrt mit den Bergbahnen im Sommer kann z. B. so ein Highlight darstellen, aber die Gäste können das auch nicht täglich und ununterbrochen machen. Es ist aber wichtig solche Angebote zu haben, wie das ja in vielen Regionen jetzt der Fall ist, in denen sich die sich Bergbahnbetreiber im Sommer ganz spezielle Dinge einfallen lassen. Das ist in Ordnung, das macht aufmerksam, hier ist man modern, hier ist man naturnah, hier ist man erlebnisorientiert. Aber das wichtige ist ja doch letztlich, die Menschen zum Sportplatz „Natur“, zum Erlebnis „Natur“ hinzuführen. Die Bergbahnen und Attraktionen wie z. B. Klettertürme oder Erlebnispfade sind Voraussetzungen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das Ziel muss aber sein, dass irgendwann einmal das Erlebnis „Berg“ für sich selbst spricht. Das ist nur wie gesagt kein Selbstläufer, und daher sind so Werbeveranstaltungen, Events oder eben technische Einrichtungen sehr wohl hilfreich, ohne die geht es heute sicher nicht mehr. Es gilt, diese Dinge harmonisch mit der Natur in Einklang zu bringen, und viele Beispiele zeigen, dass das möglich ist.

Gibt es ein Idealprofil für den „Sommerbergurlauber“? Ist der Skifahrer/Snowboarder im Winter automatisch der Wanderer im Sommer?
Nein, ganz im Gegenteil. Also der Wintertourismus ist Massentourismus – das wird oft in Fachkreisen übersehen – und das wird auch so bleiben. Das, was an den Mittelmeerstränden eigentlich die Badeurlauber in der Masse sind, sind in einem ähnlichen Zusammenhang die Skifahrer und Snowboarder im Winter. Das ist Massenurlaub, bei dem man das spezielle Angebot „Schnee und Berg“ so wie im Sommer „Strand und Meer“ genießt. Und das ist nun einmal Massenurlaub. Im Sommer haben wir es in den Bergen mehr mit Nischenurlaubern zu tun, also mit Menschen, die ganz gezielt Erholung, Natur und aber auch Erlebnis und Wellness suchen. Auch bodenständige Angebote, kombiniert mit Brauchtum, werden verstärkt nachgefragt. Da geht’s also viel mehr um einzelne Nischen, die sich dann zum Gesamterlebnis „Berg“ verbinden. Es handelt sich hier um „Qualitätsurlauber“ im Sinne von „ich weiß, was ich will, und das steuere ich gezielt an“. Die Nischen sind allerdings vielfältige. Also sind die Chancen im Sommerurlaub wesentlich größer als im Winterurlaub, nur haben wir halt im Winter die Masse und das Angebot spricht für sich selbst, und im Sommer muss man sich mehr um seine Nischen, um die Liebe zum Detail, um diese Inszenierung des Alltagsurlaubsdetails kümmern.

Spezielle Inszenierungen – vom Erlebniswanderpfad bis zur Märchenbahn – sollen mehr Besucher auf die Berge locken. Reicht also die Kraft der Berge allein dafür nicht aus?
Eben nicht. Und das ist kein Abwerten der Natur und der Berge, sondern es funktioniert überhaupt nichts mehr, ohne dass man darauf hinweist, was daran wertvoll ist, was daran wichtig ist. Wir sind einfach in einem Zeitalter, in dem Information das Um und Auf ist, wir sind Reise-erfahrener als früher, wir sind gebildeter, wir sind informierter, man vergleicht mehr, man kennt die Fülle an Angeboten. Durch sich selbst wirkt ja nicht einmal mehr der Meeresstrand, weil man da ja auch mittlerweile gezielt – wenn ich an die Sportler denke – die Wind- oder Wasserverhältnisse sucht, oder die Ruhe der griechischen Inseln oder die Masse der Mallorca-Strände. Also, wenn man dann hinter die Kulissen schaut, gibt es dieses „man muss sich auch bei den Massenangeboten um das spezielle Detail kümmern“ genauso. In einer Informations- und in einer Wissensgesellschaft ist das Angebot so groß, dass es Selbstläufer eigentlich nicht mehr gibt.

Was sind Ihrer Meinung nach die Erfolgskriterien für Sommerbahnen? Ist es die Erlebnisvielfalt allein oder gehört auch noch mehr dazu?
Die Sommerbahnen müssen aufpassen, dass die Bodenständigkeit, die Authentizität – wie es so schön heißt – gewahrt bleibt. Ich halte es für wichtig, dass man die sportlichen Erlebnisse im Einklang mit der ortsansässigen Bevölkerung entwickelt. Aufklärung und Information sind hier wichtig. Man muss ihnen auch die Freude und den Spaß an diesen Angeboten vermitteln. Das ist etwas, was man nicht übersehen darf. Andererseits sind wir natürlich schon auch als Einheimische gefordert, selbst innovativ zu sein, etwas zuzulassen. Natur schützen, aber auch Natur nützen lautet das Motto. Wir leben in Österreich vom Nützen dieser Natur. Das muss ökologisch gut bedacht und mit dem wichtigen ökonomischen Effekt perfekt abgestimmt sein, nämlich dem Sichern der Arbeitsplätze, junge Leute in der Region zu halten, letztlich der Landflucht entgegenzuwirken. In den Bergen haben wir nichts anderes als unsere Natur anzubieten – wenn man ehrlich ist, zu verkaufen –, und da muss man genauso innovativ sein wie bei Hochtechnologie-Standorten in Silicon Valley. Die Welt entwickelt sich zu einem globalen Dorf, und das erfasst zu einem gewissen Teil auch die Alpen als Lebens- und Wirtschaftsraum. Mit dem muss man sich auseinandersetzen. Das heißt nicht Patentrezepte, nicht alles neu, aber wir können nicht alles bewahren wie es im vorigen Jahrhundert war. Diese neue Harmonie gilt es zwischen Attraktion und Bewahren, zwischen Innovation und Tradition zu finden. Das gelingt nur in der Region unter Einbeziehung der Bevölkerung, allerdings in einem stetigen Diskurs. Und die Bergbahnen gehen hier mit guten Beispiel voran, das ist keine Frage, die Seilbahnwirtschaft ist die Innovationskraft der Berge. Wichtig ist, die Menschen, die dort leben, auf diesen Weg in das neue Zeitalter der Urlaubsattraktionen mitzunehmen.

Machen Sie für uns bitte einen Blick in die Zukunft: Wie wird der Sommerurlaub am Berg aus Ihrer Sicht im Jahr 2020 aussehen?
In den nächsten zehn Jahren wird sich nichts dramatisch ändern. Die einzelnen Erlebnisangebote werden mehr und mehr als ein „WIR sind das Angebot“ auftreten und damit weiter an Attraktivität gewinnen. So könnte z. B. die Alm für den Hochseilpark, der Souvenirstand für das Gasthaus und alle gemeinsam für das Museum in der Landeshauptstadt usw. werben. Dieses „WIR sind die Region, kommt wieder zu UNS, weil in der Region kannst Du einen Kurzurlaub zehn, zwanzig Mal verbringen und Du hast die Region immer noch nicht kennen gelernt“ ist eine große Chance. Solche großen Zusammenschlüsse wären in Europa wahrnehmbar – typisch österreichisch, aber doch unterschiedlich von ihren Voraussetzungen her.

Das Interview führte Christian Amtmann

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