SachverhaltNach Vorliegen dieses Urteils wurde in den Medien die Meinung verbreitet, es müsse ab sofort jeder Pistenrand auch für Unfälle von abfahrenden Tourengehern gesichert werden ("Volle Haftung für Pistenkante"). Mit diesem Beitrag möchte ich zu einer Objektivierung der Diskussion beitragen.
Der Sachverhalt dieser Entscheidung stellt sich so dar, dass ein Tourengeher eine "Tourenkarte" (Punktekarte) gekauft hat. Mit dieser Karte konnte er die Anlagen des Skigebiets einmalig für eine Bergfahrt – zur Erleichterung des Aufstiegs – benutzen. Bei der Abfahrt nach seiner Skitour benutzte er dann teilweise auch die markierten und präparierten Pisten, dabei herrschte schlechte Sicht. Im Zuge seiner Abfahrt gelangte er in einen Bereich, in welchem die Piste eine scharfe Linkskurve beschreibt. Der Innenbereich dieser Kurve wird üblicherweise von zahlreichen Skifahrern bei der Abfahrt befahren und von Tourengehern beim Aufstieg benutzt. Dieser Innenbereich war daher zum Unfallszeitpunkt stark verspurt und "pistenähnlich".
Auf Grund der Tatsache, dass im Bereich dieser scharfen Linkskurve keine Randmarkierung vorhanden war - sondern lediglich oberhalb und unterhalb der Kurve jeweils eine Stange -, kam der Tourengeher auf Grund der schlechten Sichtverhältnissen im Bereich dieser Kurve von der Piste ab. Als er versuchte, von dort wieder auf die Piste zu gelangen, stürzte er über eine ca. 60 cm hohe Kante der unterhalb vorbeiführenden Piste, die dort auf Grund der Präparierung entstanden ist.
Begründung des Gerichts
Der Tourengeher verklagte das Seilbahnunternehmen mit der Behauptung, es sei ihm gegenüber verpflichtet gewesen, für eine ordnungsgemäße Absicherung und Markierung dieser Pistenkante zu sorgen. Das Gericht verurteilte das Seilbahnunternehmen zum Schadenersatz. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die Piste oberhalb des Unfallbereichs eine scharfe Kurve beschreibe und dass der Bereich unterhalb der Kurve als „pistenähnlich“ zu qualifizieren sei. Daher hätte in diesem Bereich eine Pistenrandmarkierung angebracht und hätte auch die weiter unterhalb liegende Pistenkante abgesichert werden müssen. Es warf dem Seilbahnunternemen eine mangelhafte Pistenrandmarkierung vor, die Ursache dafür war, dass der Tourengeher ungewollt von der Piste abkam und dann über die Kante weiter unterhalb stürzte.
Das Gericht liegt falsch!
Entgegen den Pressemeldungen stellt dieses Urteil meiner Meinung nach einerseits keine Verschärfung der Haftung dar: Wäre im Bereich der scharfen Linkskurve eine Randmarkierung vorhanden gewesen, dann wäre der Tourengeher nicht unbemerkt von der Piste abgekommen und müsste er sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er selbst ausgewählt hat, ins freie Gelände einzufahren. Im freien Gelände und auch bei seiner Rückkehr auf die Piste ist er dann selbst für eine ausreichende Beobachtung dieses Geländes verantwortlich und müsste er entsprechend aufmerksam fahren, um auf mögliche Hindernisse reagieren zu können.
Meiner Meinung nach ist diese Entscheidung auch inhaltlich unrichtig, da das Gericht davon ausgegangen ist, dass der Tourengeher – auf Grund des Kaufs der "Tourenkarte" – den Schutz der Pistensicherungspflicht genießen würde. Es steht allerdings fest, dass der Kauf der Liftkarte nicht zur Benützung der Pisten erfolgte, sondern nur für eine (!) Beförderung bergwärts. Vertragsinhalt ist daher nur diese eine (!) Beförderung und nicht auch die Benutzung der Pisten. Daher ist es unrichtig, wenn das Gericht ausspricht, dass der Tourengeher sich auch auf die Pistensicherungspflicht des Betreibers stützen kann.
Zusammengefasst bedeutet dieses Urteil keine Verschärfung der Haftung der Pistenbetreiber. Darüber hinaus ist das Urteil inhaltlich unrichtig, da sich der Tourengeher nicht auf die vertragliche Pistensicherungspflicht stützten kann.
Dr. Christoph Haidlen